Mittwoch, 16. April 2008

Das Leben ist eine Wasserwaage

'Das Leben ist eine Wasserwaage', wage ich jetzt einmal zu behaupten. Warum? Ganz einfach: weil man es einerseits ausgeglichen zu gestalten sucht, weil es eben keine Pralinenschachtel oder ein Quiz ist und weil schon die alten Ägypter die Vorteile der Gradlinigkeit von Wasser nutzten, um ihre Pyramiden ordentlich zu bauen. Damit sind drei Grundvoraussetzungen für die Richtigkeit meiner Feststellung erfüllt: These, Beschreibung der Antithese und urzeitliche Belegbarkeit. Außerdem fördert das Wort 'Wasserwaage' als Teekesselchen die Sprach- und Denkkompetenz, weil Wasser durchaus auch mal gewogen wird.

Das Leben ist auch deshalb eine Wasserwaage, weil es im Sog guter Entwicklungen oft zu gegenteiligen Auswüchsen kommt, um sich danach immer wieder, mal in die eine Richtung, dann wieder in die andere, zu bewegen, bis am Ende alles ausgelichen ist. Wer dieses zyklisch-antizyklische Verhalten des Lebens akzeptiert, der erfährt Satori und die führt zu Langmut und Gelassenheit. (Wer jetzt einige Fachausdrücke nicht verstanden hat, der frage bitte seine früheren Lehrer oder jemanden aus der nächstgelegenen Bibliothek.)

Nehmen wir (wieder) einmal das Fernsehen zum Beispiel. Zu Zeiten, als das Fernsehcasting genannte Procedere urdeutsch noch ein 'Talentwettbewerb' war, war es amüsanter, teilweise aufregender Quotenknüller. Egal ob das Talent von Bill Ramsey oder Dieter Pröttel in einem Schuppen gesucht wurde oder Rudi Carrell in seiner Show unbekannten Sängern, mit dem eingeblendeten Untertitel "Live gesungen!", die Chance gab vor dem Publikum groß herauszukommen. Schnell gab es Nachahmer, darunter eine Mini-Playback-Show, eine Überraschungssendung im ZDF, aber auch Stefan Raab. Alle diese Trittbrettfahrer kopierten gnadenlos das erfolgreiche Format, angefangen von verwendeten Begriffen ("Eben noch in der Blumenhandlung … jetzt auf unserer Showbühne!“) und Titeln („Laß dich überraschen“) bis hin zu Showideen (aus „Rudigramm“ wurde das „Raabigramm“).

Der Weg ist eben das Ziel der Quoten fetter Beute. Die wird aber bei kopierten Ideen gelegentlich kleiner als gedacht, was daran liegt, dass nach der ersten Talkshow im Privatfernsehen dort ein Talkshow-Marathon ausbrach, bis der Zuschauen nicht mehr einschalten oder aushalten wollte und nach und nach fast alle gleichgeschalteten Shows ebenso gleich abgeschaltet wurden. Ähnlich war es mit den Gerichtsserien, wobei deren erste private gar keine war sondern der Maschendrahtzaum-Streit von Frau Schiedsmann Barbara Salesch geschlichtet wurden. Gleiches Schicksal wie Gerichts- und Talkshows wird man bei den geklonten Koch-, Auswanderungs- und Nachgeldspielratesendungen erwarten können, denn, ich wiederhole mich gerne: Das Leben ist eine Wasserwaage, von Gott erfunden, damit er nicht so viel Arbeit mit uns hat.

Da braucht es kreative Köpfe um im Sumpf der Plagiate dem Mangel an Ideen und Konzepten eigenes Profil zu geben. Stefan Raab etwa hat das bewiesen, singt keine Raabigramme mehr und lässt dafür heute Prominente im Wok eine Eisbahn hinuntergleiten, lässt sich für viel Geld spielend schlagen oder macht das eher ein tristes Dasein fristende Turmspringen TV-populär. Ein ganzer TV-Sender namens PRO 7 hat ihm inzwischen seine weitere Existenz zu verdanken. Nun hatte sein Freund, Schauspieler und Regisseur Michael Herbig, Spitzname
Bully, eine ebenso innovative Idee: Bully sucht starke Männer, genauer gesagt Wikinger. Was vordergründig wie eine weitere dröge Casting-Show ausschaut, stellt sich schnell aber als best unterhaltendes Talentsuchen heraus, nicht nur, weil den Gewinnern ein Traumeinstieg auf die große Leinwand geebnet wird, sondern weil auch die Verlierer sympatisch beim Publikum ankommen - ganz anders als als bei Modepüppchensuch- oder Miriah Carey-Nachahmer-Sendungen. Wer da stolpert oder nicht wirklich singen kann erntet Spott und Häme.

Das ist bei 'Bully sucht die starken Männer' anders. Hier sucht man
einen Snorre, der hässlich ist, einen Ulme, der schräg, einen Faxe, der fett oder einen Urobe, der alt sein muss. Bully macht damit Außenseitertum zum Erfolgskriterium und Vulgarität zum Akzeptanzmerkmal. Hieran kritisch zu meckern und zu mäkeln wäre genauso, als würde man sich beim Fußball darüber beklagen, dass der Ball rund ist. Und noch etwas hat Bully gemacht: Er sucht 'Starke Männer' und keine 'Wikinger' weil, und das ist nun leider das Mißverständniss und Drama für einen ganze Genaration von Schulkindern, das Ganze auf einer Zeichentrickserie basiert, die "Wickie" hieß (mit 'ck') und diese Generation heute noch das Wort 'Wikinger' mit 'ck' schreibt an statt nur mit 'k'. Die Figuren der Serie, die vor über 30 Jahren in japanischen Zeichenstuben für den deutschsprachigen Markt kreiert wurden, auf die Kinoleinwand zu bringen, ist Herbigs Ziel und dafür sucht er die entsprechenden Laien-Schauspieler.

Und so kommen Altrocker, Selbstdarsteller, Hänflinge und Fettwänste in seine Sendung und spielen der Jury ihren persönlichen Wikinger vor, als sei das ihr natürlicher Lebensraum. Viel braucht man dazu nicht zu können denn es geht ja nicht um Shakespeare oder Schiller sondern um eine Comicvorlage. Und auch, dass die Jury über die Aspiranten lacht ist nicht enttäuschend, sondern fast schon Garantie für das Erreichen der nächsten Runde. Dass Herr Herbig dadurch die Selektion vom Makel ihrer Hässlichkeit löst, sei nur am Rande bemerkt. Auch, dass
die Zuschauer dieses eine Mal nicht mit abstimmen dürfen ist positiv, denn man kennt das ja: Das Publikum liebt bei Talentshows nicht die wahren Talente sondern sein Herz schlägt bei der TV-Unterhaltung eher für die Absurdität. Aber auch das wäre letzten Endes in dieser Sendung nicht schlimm, denn Bully sucht nicht nur die starken Männer sondern auch die größten Kasper unter liefert damit derzeit das mit Abstand seriöseste Format.

Warum habe ich aber Anfangs nicht gesagt 'Das Fernsehen ist eine Wasserwaage'? - Weil das Leben eben mehr ist, als das, was im Fernsehen zu sehen ist. Wer das begreift, der hat verstanden.

Keine Kommentare: