Mittwoch, 16. April 2008

Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer

»(...) Wir nähern uns jetzt einem meiner Lieblingsthemen und zwar der fabelhaften Welt der Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer. Wie ich festgestellt habe, und sie höchstwahrscheinlich auch, gibt es mehrere Aggregatzustände eines Teilnehmers am Straßenverkehr. Aggregatzustände, so lehrt uns die Wissenschaft, sind die verscheidenen physikalischen Zustände ein und des selben Stoffes, im vorliegenden Fall der Menschen und da der Mensch ja bekanntlich nicht vom Brot allein lebt habe ich die psychischen Zustände gleich mit einbezogen.

Im Straßenverkehr mutiert der durchschnittliche Mitteleurogermane, je nach Betätigkeitsfeld, wie ein Wechselbalg in verschiedenste Straßenwesen, wofür es verschiedenste Beispiele gibt. Wenn ich zum Beispiel als Fußgänger unterwegs bin, dann regen mich in aller erster Linie die auf meinem Gehweg sich munter fortbewegenden Radfahrer auf. Getreu der einst von Walter Ulbricht ausgegebenen Losung "Niemand hat die Absicht einen Radweg zu benutzen." mähen sie mich beinahe regelmäßig bei Verlassen des Hauseingangs um, der direkt an einen Gehweg angrenzt. Wie gesagt beinahe, und zwar in einem Affenzahn drei bis zehn Zentimeter an mir vorbei radelnd, wobei sich einige noch fassungslos umdrehen und mir ein wohlmeindendes "Idiot" mit auf den Weg geben. Nur zur Erinnerung: ich hatte es zuvor lediglich gewagt, mein Haus zu verlassen und den Gehweg zu betreten. Was wäre gewesen, wenn ich mit einem Brtett oder einer Latte aus dem Hausgekomen wäre. Jeder Fußgänger hätte das gesehen und wäre stehen geblieben. Den Radfahrer aber hätte es garantiert aus den Latschen gehauen. Ich denke, dass ich das demnächst einmal ausprobieren sollte. Schließlich ist ein Gehweg immer noch ein Gehweg.

Ebenso schön finde ich, wenn sich mir von hinten
ein Fahrradfaher nähert, um dann mit einem entrüsteten "Hey, was soll denn das?" haarscharf und kopfschütelnd an mir vorbeizuradeln, teif getroffen, weil ich keinen Platz gemacht hatte. Also für mich führen Radfahrer Waffen auf zwei Rädern mit sich. Da sollte in der Zukunft in Berlin mal über Konsequenzen nachgedacht werden. Mindestens über einen psychologischen Eignungstest für Pedalritter. Denn natürlich wissen alle, dass Kinder bis zum Alter von 8 Jahren Gehwege benutzen müssen, ältere Kinder bis 10 Jahre dürfen Gehwege mit Fahrrädern befahren, was darüber hinaus für alle anderen Menschen tabu ist. Aber das scheint kaum einen Radfahrer zu kümmern.

Mich übrigens auch nicht, wenn ich mit dem Fahrrad fahre. Dann möchte ich nämlich möglichst geschützt fahren und nicht von verantwortungslosen Autofahrern umgemäht werden. Radwege gibt es sowieso zu wenige, so dass man ständig auf Gehbahnen ausweichen muss. Lästig sind dabei nur die Fußgänger, die einem aus reiner Absicht den Weg blockieren oder unvermittelt aus Hauseingängen springen und uns Radfahrer zu Tode erschrecken. Mit ein wenig Feingefühl würde das alles viel besser klappen: Erst einmal um die Ecke schauen, Herr Nachbar, ob ein Radfahrer naht. Das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt, oder.

Mich nerven als Radfahrer aber auch diejenigen Autofahrer, die ihre Blechkarosse halb auf der Fahrbahn und halb auf dem Gehweg parken; unmöglich finde ich so was. Wozu gibt es denn Parkplätze? Und dann erst die Autofahrer, die einem die Vorfahrt nehmen. Wenn man da nicht aufpasst, wird man auf die Hörner oder die Haube genommen und findet sich nach dem Aufwachen auf der Intensivstation wieder. Diese verantwortungslosen Kerle haben dabei nur ein paar Kratzer im Lack, und ich dafür eine irreparabele Verletzung. Ich finde ja generell, dass aus Gründen der Chancengleichheit diese Waffen auf vier Rädern verboten werden sollten.
Aber das scheint kaum einen Autofahrer zu kömmern.

Mich übrigens auch nicht, wenn ich Auto fahre. Dann möchte ich nämlich möglichst schnell von A nach B kommen und könnte mich schwarz ärgen, wenn ich Radfahrer sehe, die bei Rot über die Ampel fahren und mir dabei die Vorfahrt nehmen. Einer hat mich schon mal erwischt. Als ich ausstieg um mir den Schaden an meinem Wagen anzuschauen, da stieg er schon wieder aufs Rad und haute ab durch de Mitte. Ja, wer denken die denn, dass sie sind? Für alle Verkehrsteilnehmer gelten die gleichen Regeln des Straßenverkehrs. Aber Radfahrer scheinen zu glauben, dass es für sie Extrawürste gibt. Schon machen Städte Parkplätze dicht und mit dem eingesparten Geld werden Fahrradwege gebaut. Kein Wunder, dass man in der Innenstadt kaum noch einen Parkplatz findet.

Vor einiger Zeit raste einer rechts an mir vorbei, ohne Rücksicht auf Verluste, und als ich abbiegen wollte, da brüllte er laut: "Dir Megaarschloch sollte man die Fresse polieren!" Ich fuhr ihm hinterher und als er nach fünfzig Metern begann, auf einem Gehweg weiterzufahren, da fuhr ich auf gleicher Höhe neben ihm her, die Beifahrerscheibe nach unten, und rief ihm zu: "Würden Sie mir bitte ihre Personalien geben, damit ich Sie anzeigen kann. Sie fahren nämlich auf einen Gehweg und das ist verboten." Der Radfahrer würdigte mich keines Blickes. Noch einmal bat ich ihn höflich um seinen Namen, während er fast eine ältere Dame auf dem Weg zur Bushaltestelle umfuhr. Keine Reaktion. Verbissen furhr er weiter bis zur Kreuzung. Dort hielt er kurz an, schaute sich um, fuhr dann bei Rot über den Fußgängerüberweg und weg war er.

Weil ich gerade die ältere Dame erwähnte. Das sind die schlimmsten. Mitte Siebzig, gerade den Ehemann einen Stock tiefer gelegt, aber noch fit wie ein ausgelatschter Turnschuh. Der Unruhestand treibt diese orthopädischen Wanderbaustellen zu immer neuen Höchstleistungen. Ein wartender Bus an der nächsten Haltetstelle animiert zum Beschleunigen; in zehn Minuten käme der nächste ... drauf geschissen, wer weiß, wie lange man noch zu leben hat. Der nächste Bus könnte ja der letzte sein. "O Gott o Gott! Mich trifft der Schlag!" - "Gut, dann bleibn's sitzn bis zum Nordfriedhof" - "Ein Wagen von der Linie 8, weiß-blau fährt ratternd durch die Stadt." So stürmen sie zum Bus, immer einen Oberschenkelhalsbruch einkalkulierend, verbunden mit einem längeren Krankenhausaufenthalt, danach ReHa, Altersheim, Lungenentzündung und dann 'Ruhe sanft'.

Manchmal denke ich, dass es die drei Aggregatzustände auch beim Menschenalter gibt. Mit demgleichen Hass und Prass auf die andersartigen. Jugend gegen Eltern und Großelteren - Menschen mittleren Alters gegen Kinder, Jugendliche und Rentner - Alte gegen die Arbeitenden und die Jungschen. So wären wir alle letztenendes das, was Herbert Grönemeyer einst schrieb: "Und der Mensch heißt Mensch, weil er vergißt, weil er verdrängt, weil er schwärmt und stählt, er wärmt, wenn er erzählt, und weil er lacht, weil er lebt." - Ich denke, so ist es. (...)
«

(aus: 'Hoffnungslos Hoffnungsvoll'/2006)

Keine Kommentare: