Mittwoch, 31. Dezember 2008

Kurz vor Jahresschluss

31. Dezember, 10 Uhr 00: Alle Menschen freuen sich auf die Silvesternacht. Allen voran die Seniorin Edith K., die in der Plattenbausiedlung Lobeda-West (einer Stadt, deren Name hier keine Rolle spielt) durch ihren Enkel Guntram eine defekte Elektrokerze in ihrem Schwippbogen auf der Fensterbank ihres Wohnzimmers in der 8. Etage austauschen lässt. Endlich breitet sich bei ihr wieder nachweihnachtliche Stimmung aus, die Freude ist groß.

12 Uhr23: Beim Entleeren seines Müllsackes beobachtet Edith K.s Nachbar Werner O. die provokante Nachweihnachtsoffensive in der 8. Etage. Zwei Tage lang hatte er sich gefreut, dass Oma K.s Schwippbogen, der zuvor seit dem 1. Advent Tag und Nacht geleuchtet hatte, endlich abgeschaltet war. Nun kontert umgehend mit der Aufstellung des zwölfarmigen dänischen Kandelabers zu je 25 Watt im Küchenfenster. besorgte Nachbarn, die nach Weihnachten bereits abgerüstet hatten, sehen dies und handeln. Nur wenige Stunden später erstrahlt fast ganz Neu-Lobeda sieben Tage nach dem Heiligen Abend erneut im besinnlichen Glanz von Tausenden Fensterdekorationen.

Es ist 18 Uhr 16: Im Vorbeifahren sieht ein Autofahrer aus Gera den Glanz der Lobedaer Lichtstadt und baut nach der Rückkehr in seine Heimatstadt an seinem EInfamilienhaus die 1800 Watt Weihnachtsbeleuchtung wieder auf. In Gera-Lusan sieht man dies und reagiert.

19 Uhr 20: In der E.ON Schaltzentrale Mitteldeutschland registriert der wachhabende Ingenieur irrtümlich einen Defekt der Strommessgeräte für den Bereich Ostthüringen, ist allerdings zunächst arglos.

20 Uhr 04: Noch vor der Neujahrsansprache der Kanzlerin gelingt einem Elektrobastler in Jena-Winzerla der Anschluß einer Kettenschaltung von 96 Airbus Landescheinwerfern, durch die zwischen Göschwitz und Ammerbach Teile der heimischen Vogelwelt verwirrt mit dem Nestbau beginnen.

20 Uhr 51: Diskothekenbesitzer Torsten B. aus Apolda sieht sich genötigt seinerseits einen Teil zur Erhellung des silvesterlichen Himmels beizutragen und montiert auf dem Flachdach seines Industriebaus das Laseresemble Metropolis, eines der leistungsstärksten in Europas, dass er eigentlich erst im neuen Jahr ausprobieren wollte. Die Fassade eines angrenzenden Backsteingeäudes hält dem Dauerfeuer des Laserensembles mehrere Minuten stand, bevor sie mit einem häßlichen Geräusch zerbröselt und in sich zusammenfällt.

21 Uhr 46: Im Trubel einer kleinen, spontanen Silvesterfeier in der E.ON Schaltzentrale Mitteldeutschland, überhören die vier Mitarbeiter der Nachschicht, während man das RTL Fernsehprogramm verfolgt und einer Dame zuschaut, die mit ihren Riesenbrüsten Bierfässlein als Alu zerdeppert, das Alarmsignal aus Ostthüringen.

22 Uhr 05: Zwei verdiente Antifaschisten, die 1945 als Widerstandskämpfer im Untergrund gegen Nazi-Deutschland arbeiteten, holen aus bisher streng gehüteten Geheimverstecken, letzte Reserven an Leuchtmunition und verschießen diese in den Nachthimmel. In Jena und Gera eröffnen zwei weitere Diskothekenbesitzer derweil ihre Belechtungsoffensive, da sie nah einem Handyrundruf irrtümlich annehmen, die Leuchtmunition wäre das Laserensemble Metropolis aus Apolda. Jena zaubert mit Hilfe von amerikanischen Laserwerfern den Stern von Bethlehem an die tiefhängende Wolkendecke; Gera kontert mit einem 180.000 Watt Elektrofeuerwerk aus China, das bislang vom Deutschen TÜV aus gutem Gurnd noch gar nicht freigegeben wurde.

22 Uhr 12: Eine Gruppe ukrainischer Geschäftsleute irrt, nebst weiblicher Begleitung, verängstigt durch Lobeda, nachdem ihre Tupolev mit Ziel Erfurt versehentlich im Gewerbegebiet Jen A4, nahe dem mit 3000 bunten Neonröhren bestückten Autohaus Reichstein & Opitz gelandet ist.

22 Uhr 47: Von der internationmalen Raumstation ISS sendet der wachhabende Kosmonaut Grigori Kossonossow Bilder einer angeblichen Supernova auf der nördlichen Erdhalbkugel an die Bodenstelle in Baikonur. Ihm wird mit sofortiger Wirkung und trotz des Silvesterabends, für 24 Stunden der Genuss von Wodka untersagt.

23 Uhr 11: Die Erdbebenwarte im Wermsdorfer Forst nahe Leipzig registriert im Landkreis Hameln-Pyrmont in Niedersachsen ein leichtes Beben. Im E.ON-Kernkraftwerk Grohnde brüllen derweil sämtliche Turbinen jenseits der Belastungsgrenze um Strom nach Thüringen zu transferieren.

23 Uhr 58: In der Gaststätte "Mekong" wacht Studentin Kathleen R. aus einem kleinen Alkohol-Schlummer, freut sich, dass die Party immer noch läuft und sie den Jahreswechsel noch nicht verpennt hat, geht vor die Tür um mit den anderen Gästen zu feiern und wundert sich, dass es draußen schon taghell ist.

23 Uhr 58 und 30 Sekunden: Kathleen R. nimmt ihr Handy und ruft ihre veste Freundin Petra an, um diese zufragen, ob es bei ihr auch so hell ist.

23 Uhr 59 und 18 Sekunden: In die plötzliche Dunkelheit über Deutschland sieht man aus Richtung Niedersachen einen orangenen Vulkankegel pilzförmig Richtung Himmel aufsteigen. Durch stockfinstere Städte und Ortschaften streifen verwirrte Menschen, Menschen wie du und ich, und feiern im Schein ihrer bengalischen Fackeln und der Sternraketen das neue Jahr. Ein Jahr, dass die Energiewirtschaft in Deutschland, in Europa, ja in der ganzen Welt komplett verändern wird. Dank Edith K. und ihrem Enkel Guntram, aus der Plattenbausiedlung einer Stadt, deren Name hier keine Rolle spielt.

3 Kommentare:

radiospeziale hat gesagt…

Na gut, wenn's schon keinen Text zum letzten Tag des alten Jahres gab, dann gibt's hier eben einen zum ersten Tag des neuen Jahres:


© by Lutz Mühlfriedel, Kapellendorf


"NEUNZEHNHUNDERTVIERUNDACHTZIG

Draußen gelbe und blaue Blitze. Platzend die Detonationen. Überm Wald Lichtkugeln, der Himmel für Sekunden rot. In der Ferne von der Stadt her dumpfes Grollen. Gebrüll im Dunkeln. Dann ein Schwirren in der Luft. Feuerregen vorm offenen Fenster, Schwefelgeruch dringt herein. Jetzt Glockengeläut. Die Turmuhr schlägt. Zwölfmal.
Neujahr."

Und damit auch von mir Prost Mahlzeit 2009, in aller Welt.

rainerWsauer hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
rainerWsauer hat gesagt…

Es gibt ja einen Text. Der wurde wegen seiner potentiellen Brisanz aber zwei Wochen lang von der PKP, der Bundesstelle für Politisch korrekte Phrasen, geprüft und heute erst freigegeben.

Der Autor
Jena, den 13. Januar 2009