Müntefering hat zwei Löcher im Kopf. Bekleistert hat man ihn mit einer Drahtschlinge um den Hals an eine Straßenlaterne festgebunden. Strelitz schaut ihn an, Müntefering baumelt im Wind. Strelitz ist unsicher, ob er sich strafbar machen und Franz Müntefering abhängen soll, oder ob er einfach zur nächsten Laterne geht, an der man Angela Merkel aufgehängt hat. Sie sieht übel aus, irgendwelche Vandalen haben ihr die Zähne eingeschlagen und jetzt hat sie nichts mehr zu sagen.
Überhaupt sieht es in der Stadt aus, als hätten die Menschen endlich Deutschlands Schicksal in ihre Hände genommen, die Französische Revolution in die Neuzeit verlegt und ihren Volkszorn an den Politikern ausgelassen. Guido Westerwelle wurde mit Farbbeuteln beworfen. Den Gesichtern der Grünen dagegen hat die Sonnenenergie zugesetzt und sie verbleichen lassen. Hier und da sieht man den unvermeidlichen Gregor Gysi kommen, und das obwohl er schon lange gegangen ist. Und auf die Plakate der REPs - ihnen fehlen ganz offensichtlich die markanten Gesichter - hat ein patridiotischer Musiker mit braunem Filzstift geschrieben: "Deutsche spielen nur auf weißen Tasten!".
Strelitz hat sich nun doch entschlossen, nichts zu tun, was den Politikern und ihren Parteien helfen würde. "Hilf dir selbst, dann hilft Dir Gott" denkt er und passend dazu sieht er das Plakat der 'Partei Christlicher Kraft' deren nette Aufforderung "Hast Du Jesus, dann hast Du das Leben" lautet und an alle Topterroristen der Welt gerichtet ist: "Hast Du Jesus, dann hast Du das Leben"! - Stimmt zwar, denkt Strelitz, kommt aber ein paar Tausend Jahre zu spät.
Abends im Fernsehen laufen die Wahlwerbespots. Strelitz zappt schnell Helga LaRouche weg, deren Mann mit der FFW schon wieder eine neue Partei gegründet hat - diesmal geht es wahrscheinlich um "Freiheit für Wanderdünen" - und landet prompt bei Sabine Christiansens Puppenkiste, in der zwar der Münchner Löwe los ist, Jim Knopf bei den von FORSA ermittelten wilden 13 % einen deutlichen Aufwind spürt und Don Blech viel um den heißen Brei herum redet. Franz Müntefering aber macht alles wieder wett. Wie so oft gelingt ihm schlafwandlerisch die Punktlandung in dem er sagt: "Zukunftsgerecht heißt, den Sozialstaat zu sichern." So liebt Strelitz ihn, denn jetzt ist er sich sicher, dass ihn Onkel Franz gleich wieder einmal sanft in den Schlaf reden wird. Und recht hat er.
"Unser Modell ist die Vorstellung davon, wie Gesellschaft sein soll, das ist der Sozialstaat", erklärt der Parteivorsitzende. "Nur ist der Kapitalismus nicht mehr national, sondern globalisiert", betont er. "Deshalb müssen wir in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Entwicklung investieren, um Wohlstand auch in Zukunft sichern zu können. Das wird weiter die Aufgabe der Sozialdemokratie sein: Den Sozialstaat zukunftsgerecht zu gestalten und zu sichern", erklärt Franz Müntefering und Strelitz ist bereits sanft entschlummert.
(aus: "Die letzte Lesung", 2004)
Samstag, 4. Oktober 2008
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