Sonntag, 31. August 2008

Rien ne va plus

Neulich rief mich ein Bekannter an und fragte zuerst, wie das so nach Herrn Knigges Regeln Pflicht ist, wie es mir gehen würde. Ich gab darauf artig Auskunft, redete von Kopfschmerz und Schnupfen und fragte ihn dann, wie es ihm und seiner Frau gehen würde. "Wie es mir geht, das kann ich dir erzählen", sagte er "aber wie es meiner Frau geht, das weiß ich nicht." - Schweigen!

Obwohl "... weiß ich nicht" an sich noch nichts besagt, forderte er mich durch diese Bemerkung doch zur genaueren Nachfrage auf. Was ich von beiden wusste war, dass die Frau meines Bekannten seit März mitsamt ihrer Tochter in Tunesien war, dort Arbeit gefunden hatte und er sollte, so bald er genug Geld beisammen hatte, nachkommen. Schon seit Monaten hatte sie von Tunesien geschwärmt und arabisch sprechen und kochen gelernt," weil man so etwas können muss, wenn man als Deutsche in ein solches Land geht", sagte sie. Das hört man ja auch in den diversen Auswanderer-Sendungen im Fernsehen gibt, obwohl mich das im Grunde wundert, bei so viel Euphorie im Vaterland,
soviel positiven Nachrichten und Entwicklungen, dass selbst der Braunbär in Erwägung zieht, sich wieder bei uns anzusiedeln. Wer soll denn da aus Deutschland weg wollen?

Meine Bekannte und ihr Mann zum Beispiel und bei ihnen konnte ich es sogar verstehen. Manches, was in Deutschland glänzt, kann auch eine Gewehrkugel sein. Nicht dass ich wirklich geweint hätte, als
Bruno der Bär sein trauriges Ende nahm, nein, aber es besagt doch einiges über das Einwandererleben in Deutschland. Meine Bekannte und ihr Mann gehören im Übrigen zu denjenigen Deutschen, die mit Zähigkeit etwas aus ihrem Leben zu machen versuchten, was aber bei mehreren Millionen Arbeitslosen im Land und Gesetzen, die Müttern, die nach der Elternzeit an ihren Arbeitsplatz zurückkehren und dort gekündigt werden, das Arbeitslosengeldes um 40 Prozent kürzen, nicht immer einfach ist. Außerdem winken in der Ferne oft bessere Jobchancen als in Deutschland. Während bei uns Mediziner streiken müssen um menschwürdig arbeiten und Geld verdienen zu können, werden sie in Irland oder Schweden großzügig empfangen. Auch Handwerker finden außerhalb Deutschlands jede Menge freier Stellen, werden oft dazu noch besser bezahlt.

Wie es dann aber so läuft mit dem Auswandern, kann man sich tagtäglich im Fernsehen anschauen in 'Auf und davon', '
Deutschland ade', 'Abenteuer Auswandern' oder 'Mein neues Leben'. Da gibt es zur Primetime Menschen zu sehen, die ihre BRD-Zelte abbrechen und sich aufmachen ins Ungewisse, eben in ein neues Leben, in einer unbekannten Umgebung, einer anderen Kultur mit fremder Sprache, weit, weit weg ... vor allem von den Problemen, die man in Deutschland hatte. Frank Sinatras Sinnspruch "Wenn ich es hier schaffen kann, dann schaffe ich es überall." und seie Umkehrung beherzigen sie dabei nicht.

Sie hätte zwar den Flug nach Tunesien gebucht, erzählte mein Bekannter, aber in Tunesien angekommen, hätte sie nach Katar weiter gebucht und habe dann dort Arbeit gefunden. Spanisch (er meinte wohl 'arabisch') sei ihm das schon vorgekommen, aber Bedenken habe er keine gehabt; er selbst hält sich übrigens, da er in seinem erlenten Beruf keine Arbeit mehr findet, mittels Jobangeboten einer Zeitarbeitsfirma finanziell über Wasser und montiert derzeit Bohrköpfe, weshalb er bei der Arbeit sowieso kaum darüber nachdenken konnte. "Das hätte ja gepasst", sagte er zu mir, "in Kathar Bohrköpfe montieren." Aber dort suche man deutsche Ingenieure und keine Zeitarbeiter.

Mit Frau und Kind habe er vor sechs Wochen das letzte Man telefoniert, erzählt er mir. Da habe die Tochter von einem netten Araber erzählt, für den Mama jetzt arbeiten würde und der nach der Arbeit soo viel mit ihnen unternehmen würde, coole Sachen eben. Dann nahm seine Frau ihr den Telefonhörer ab und sagte ihm, dass sie jetzt das Telefonat beenden müsse ... und auseinander waren sie.

Sechs Wochen habe sie sich inzwischen nicht mehr gemeldet, bei ihm nicht, nicht bei ihrer Mutter oder dem kranken Großvater. Auch auf Briefe antworte sie nicht mehr, ganz zu schweigen von E-Mails. Mein Bekannter sagt, er habe ja keine Beweise, was seien Frau in Doha wirklich machen würde, noch habe er ein wenig Hoffnung. "Bedingungslose Liebe sieht anders aus", antwortete ich ihm.

So geht es, wenn nichts mehr geht ... nicht immer, aber immer öfter in Deutschlands Familien. Also ist das, was meinem Bekannten passiert ist, nichts ungewöhnliches in Deutschland. Mir ist übrigens jüngst von einem Afrikaner berichtet worden, der in Nigeria ebenso überraschend Frau und Kinder zurrückgelassen hat, und jetzt mit einer deutschen Frau zusammen lebt. Die hat Geld - jedenfalls mehr Geld als er - und unterhält ihn, wofür er sie unterhält. Zurück blieb der Ehepartner mit dem Kind und ein Buch voller Fragen.

Auf 'Warum' gibt es keine Antwort, das habe ich vor Jahren schon einmal dargelegt. Aber als zivilisierter Mensch haben der oder die Verlassende die Pflicht, den oder die Verlassene nicht im Unklaren zu lassen und ordentlich zu informieren. Und damit will ich nicht gesagt haben, dass meine Bekannte besser ist als zum Beispiel der Nigerianer, allein dadurch, dass sie ihr Kind mitgenommen hat. In einer Beziehung oder Ehe, zeugt diese Art der Trennung ausschließlich von Feigheit.

Wegen Fahrerflucht kann man mitunter ins Gefängniskommen, ich frage mich da, wie das bei Flucht vor dem Ehe- oder Lebenspartner ist? In Wirklichkeit richten diese Menschen sich selbst und - glauben sie mir - sie wissen das auch. Ein bisheriges Leben lässt sich nicht über Nacht vergessen. Selbst in den Weiten Arabiens nicht.

Freitag, 15. August 2008

Passanten

Da freut man sich, dass man dem ewigen Schatten Hanns Dieter Hüsch endlich Mal ein Schnäppchen geschlagen und ihn abgehägt hat, da holt er einen schon wieder ein. Dieses Mal passierte mir es, als ich eine Meldung in der Zeitung laß.

"Am besten Graefenthal" stand da vor kurzem zu lesen und weiter hieß es: "
Stadtbaurat Klaus Kranz, Vorsitzender des Fördervereins Kultur und Schlösser, kam bei einer Tagung ins Gespräch mit Ingrid Misterek-Plagge vom Kulturraum Niederrhein aus Moers, zu einer Zeit, als ein bislang einzigartiges, deutsch-niederländisches Projekt vorbereitet wurde: die erste Musik-Biennale Niederrhein, die einen gewachsenen Kulturraum wieder miteinander verbindet, nämlich den heutigen Niederrhein mit den niederländischen Provinzen Nordlimburg und Gelderland. Das Motto der ersten Biennale, 'Passanten', hat denn auch Symbolcharakter. Dies sei immer eine Region der Durchreise vieler Menschen gewesen, so Stadtbaurat Kranz. Dieses Gebiet touristisch und kulturell zu vermarkten, bedeute aber ebenso: Menschen, die eigentlich durchreisen, hier halten, für ein paar Tage anzuregen, Zwischenstation zu machen. Das funktioniert durch Kultur offensichtlich ganz hervorragend. Viele der (touristischen) Angebote, die der Kulturraum Niederrhein da macht, sind bereits ausgebucht.

Das Eröffnungskonzert 'Festliche Ouvertüre', das nirgendwo anders als auf Graefenthal über die Bühnen gehen wird, wird aufgeführt von der Sopranistin Francine van der Heijden, dem Tenor Markus Schäfer, Tobias Koch am Hammerflügel sowie Maria Jonas (Gesang und Drehleier), Frank Köllges (Schlagzeug und Stimme) sowie Piccola Banda und dem 'Pavadita Tango String Quartet'. Was, bitte schön, hat der Niederrhein mit Tango zu tun? Ingrid Misterek-Plagge: „Ganz einfach: Das Bandoneon wurde hier erfunden!“ und zwar von dem Krefelder Heinrich Band, der das Musikaliengeschäft seines Vaters übernommen hatte.

Weil die ganze Reihe 'Passanten' heißt, gibt es kein klassisches Konzert bei dem alle Zuhörer auf ihren Stühlen sitzen und da auch bleiben, bis das Programm vorbei ist. Sie werden vielmehr in zwei Gruppen an immer wieder andere Orte des alten Klostergutes geführt. Zu essen und zu trinken gibt es auch etwas. An weiß gedeckten Tischen serviert Graefenthal-Gastronom Jan Spronk kleine, feine Speisen und Getränke, dazu gibt esLieder der Romantik, geistliche Gesänge, Blasmusik, Tango, Performance und einem Film."

Da sage noch mal einer, das Leben schreibe nicht die besten Geschichten. Von enthusiastischen, niederrheinischen Kulturjournalisten einmal abgesehen.