Sonntag, 7. März 2010

Strelitz und der Rolladen

Strelitz war zu Besuch in Fechenheim. Nichts weltbewegendes an sich, aber er war fast 18 Monate nicht mehr in Fechenheim gewesen. Mehr als 10 Jahre hatte er dort gelebt und unter anderem herausgefunden dass "Let it be" nicht nur "Lass es sein" sondern eher "Lass es geschehen" heißen kann. Was das letztendlich für ihn bedeutetn würde, das lernte er aber erst nach dieser einen Nacht bei Conny und Bob kennen.

Conny und Bob waren gute Bekannte von ihm. Beide hatten sich auf Jamaica kennen- und lieben gelernt und lebten nun in Fechenheim. Eine 3-Raumwohnung nannten sie ihr eigen und dort war Strelitz zu Besuch. Eigentlich wollten sie sich gemeinsam die Nacht der Oscar-Verleihung ansehen, aber Strelitz war zu müde um durchzuhalten, also legte er sich gegen 0 Uhr ins Bett und verbrachte die Zeit bis zur Hollywood-Zeremonie mit dösen.

Als er gegen 3 Uhr wach wurde, hatte die Show um den kleinen goldenen Nicht-Trommler bereits begonnen und Conny und Bob lagen schon im Wohlfühlbett. Das schmälerte Strelitzens TV-Abenteuer aber nicht im geringsten. Nachdem es im Wohlfühlbett ruhiger geworden war, ließen echte schauspielerische Leistungen auch im Fernsehen nicht lange auf sich warten. Die Herren der Ringe wurden nach und nach mit kleinen Metalhobbits verwöhnt, eine wunderschöne Denkerstirn (im Kino von einem ehemaligen Gladiator verkörpert), holte trotzdem noch auf und Strelitz spürte, dass dies so eine Nacht war, in der alles geschehen konnte.

Und tatsächlich: Kaum einer der als Favorit gehandelten Schauspieler bekam seinen langerwarteten Preis, dafür sprach die anglo-amerikanische Ausgabe des Völkischen Beobachters später von einer "schwarzen Nacht für Hollywood", dennn Whoopi Goldberg moderierte, Denzel Washington wurde bester Hauptdarsteller, Sidney Poitier bekam den Ehren-Oscar und Halle Berry
, die in ihrem aktuellen Film ganz so an die Scheibe trommelte wie einst der Hausherr bei den Flintstones (nur dass sie anstatt "Wilma" hysterisch "My Baby" schrie), Halle Berry also wurde unter den entsetzten Augen von Nicole Kidman zur besten Schauspielerin gekürt.

Die erste Farbige in vierundsiebzig Jahren Hollywood-Awards. Und weil Gwynneth Paltrow bei ihrer Krönung einst vor dem Saal-Mikrophon einem solchen Weinkrampf verfiel, dass sie allein hierfür schon einen Oscar verdient gehabt hätte, wollte Mrs. Berry nun beweisen, dass die Schwarzen Frauen den weißen durchaus das Taschentuch reichen oder besser gesagt vollheuen können. Um es kurz zu machen: Hally schlug Gwynneth um Längen und James Cameron war so bewegt, dass ihn Mrs. Berrys Wasserfall spontan zum Remake des eigenen Katastrophenfilm inspirierte; aber das ist eine andere Geschichte.


Um kurz nach sehs Uhr an diesem Morgen ging Strelitz ob solcher Fernsehereignisse befriedigt, wie selten nach einer langen Hollywood-Nacht, in die Küche von Conny und Bobs Wohnung und öffnete den Rolladen. Das heißt: Er versuchte ihn zu öffnen. Auf halber Strecke jedoch entschloss sich der Rolladen anders, löste seinen Sicherheitsgurt und fiel, einer Guilloutine gleich nach unten. So muss es sich angehört haben, dachte Strelitz, als die Franzosen 1789 ihren heißgeliebten König einen tiefen Einblick in die Bastkörbe der neuen Republik verschafften. Und was hatte es den Franzmännern gebracht? Schon wenige Jahre später hatten sie einen kleinen, dicken Korsen als neuen König und Weltbeherrscher. Aber den Versuch war es alle Mal wert, denken sich heute noch die Franzosen. In Fechenheim und 209 Jahre später war es dann nicht ganz so schlimm gekommen, denn Strelitzens Fallbeil hatte nur die frisch geknospeten Blumen auf Connys Fensterbank erwischt und die ließen nun ihre Köpfe hängen.

Was, so fragte sich Strelitz, war jetzt zu tun? Conny und Bob lagen immer noch fest in Morpheus Armen. Sollte er sie indiskret wecken und vom Fall des Rolladens erzählen? Das schien ihm keine gute Idee, denn sicherlich würden sie ihn fragen, warum er sie '89 in der Nacht des Mauerfalls nicht geweckt hatte, dies aber jetzt wegen eines defekten Rolladens tat.

Sollte er es vielleicht verschweigen? Auch das schien ihm keine gute Lösung. Natürlich, der Gurt ist schnell wieder in den Rolladenkasten gezwängt, der Rolladen provisorisch fixiert bis zum nächten Zug am Gurt. Und Strelitz könnte dann das Unschuldslamm spielen, so als hätte er mit der Sache absolut nichts zu tun. Aber entsprach so etwa tatsächlich seinem Stil? - Nein.


Die Beatles kamen ihm in den Kopf. "Lass es sein" oder "Lass es geschehen", das war hier die Frage. Und Strelitz lies es sein. Das Schwindeln. Er erzählte Conny und Bob nach deren Erwachen heroisch, dass es allein seine Schuld war, die reine Schuld und nichts als die Schuld von ihm. Und dann kaufte er einen neuen Rolladengurt, schraubte die komplizierte Abdeckung des Rolladens ab und schob den Rolladen nach oben, befestigte den neuen Gurt, schraubte alles wieder zusammen, montierte das Ende des neuen Gurtes an der unteren Rolle und alles war wieder gut und alle waren zufrieden. ... Soweit jedenfalls sein Plan. Die Sache hatte nur einen einzigen Haken: Die Rolladen-Fachgeschäfte hatten bis mindestens um neun Uhr morgens noch geschlossen. Und um diese Zeit wollte er gereits wieder auf der Rückfahrt nach Hause sein
.

Also schrieb er einen Zettel und legte den in die Küche. Auf dem stand: "Danke für alles. Ich musste weg und ihr habt noch geschlafen. Aber Ihr solltet gelegentlich einmal den Rolladen nachschauen; als ich ihn öffnen wollte hat er so komisch gequietscht." Es ist nicht leicht ein Held zu sein, dachte Strelitz, packte leise seine sieben Sachen und fuhr dem neuen Tag entgegen. In einem offenen Ford Mustang Baujahr '64. Im linken Arm die nicht verliehenen Oscars und im rechten Halle Berry.

Film, dachte Strelitz, kann so schon sein - Film eben! Das Leben dagegen ist manchmal echt grausam und er musste an die Blumen auf Connys Fensterbank denken und dann kamen ihm die Tränen. Mit feuchten Augen sah er Halle Berry an und die wischte ihm seine Tränen aus dem Gesicht und beide fuhren so lange in den Sonnenaufgang bis sie darin verschwanden. Kurz darauf waren dann auch die auf der Rückbank des Mustangs aneinander klappenden Oscars nicht mehr zu hören.

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Hinweis: OSCAR® & OSCARS® are the registered trademarks and service marks of the Academy of Motion Picture Arts and Sciences.
(aus: "nachdenkenkommtvorlesen" © 2002 von rainerWsauer, Verlag worte &musik)