Dienstag, 27. Januar 2009

Sind wir nicht alle ein klein wenig Salamander

Diesen Text habe ich schon vor gut zwanzig Jahren geschrieben und ihn später dann vertont. Sicherlich kommt er gewissen Liedern und Intentionen von Hanns Dieter Hüsch sehr nahe ... aber warum eigentlich nicht. Manchmal singt ihn mir Hüsch in meinen Gedanken mit seiner unverwechselbaren, melancholischen Stimme vor. In diesem Momenten bin ich, um es leicht unbescheiden auszudrücken, mächtig gerührt.

"Wir alle leben im Zeichen des Salamanders
Meist läuft alles glatt, doch oft ist es auch anders
Unser Leben hat Hügel, Berge, Täler und einen Ozean
Und den befüllen wir mit einem Wasserhahn.

Menschliche Wesen stammen immer von irgendwas was ab
Mal vom Affen und mal von Kapitän Ahab
Mal von Sokrates und dann wieder von Kleist
Sind inmitten von Freunden und trotzdem verwaist
Sind mal animalisch und ein ander Mal Mensch
Dann wieder rollen wir uns ein wie Tut-Ench.

Wir planen unser Leben, so wie wir's gerne hätten
Wollen auf dem Lande leben inmitten von Städten
Haben nichts zu verlieren und verlieren dann doch alles
Suchen trotzdem das Glück, nur für den Fall des Falles.


Wir streichen durch Wiesen und durchs Firmament
Krabbeln die Wände hoch, die man Karriere nennt
Werden leichtsinnig und folgen den Spuren Alexanders
Denn wir alle leben im Zeichen des Salamanders.

Wir suchen nach Ruhm, Ehre, Wohlstand und nach viel Geld
Es fehlt nicht viel und wir regieren die Welt (... im Gedanken)
Manchmal sind wir bei uns und machmal auch ganz woanders
Denn wir alle leben im Zeichen des Salamanders
Wir alle leben im Zeichen des Salamanders."

Mittwoch, 14. Januar 2009

Humor kann man lernen, der Rest ist Begabung

In den 80er Jahren hat der von mir erfundene (und - nebenbei bemerkt - vor wenigen Wochen verstorbene) Sänger Charly Davidson einen Hit gehabt, der hieß 'Buschmann'. Obwohl es sich eine Woche vor dem Amtsabtritt von George W. Bush anbieten würde, schreibe ich unter dem Eindruck dieses Songs nichts über diesen Mann, sondern etwas über das aktuelle RTL-Dschungelcamp "Hol mich hier raus, ich bin ein Star".

Wer zum allerersten Mal eine Folge von "Ich bin ein Star. Holt mich hier raus!" verfolgt, dem sei vorweg gesagt, dass sich hier keine Stars von heute die Ehre geben, sondern (... gab es vor Jahrzehnten im ZDF nicht mal die "Western von gestern. Zu Wegwerfen zu schade"?) Sternschnuppen von früher, zum Verglühen immer noch gut genug. Wie auchimmer. Jedenfalls geht es hierbei, anders als man annehmen könnte, nicht darum, dass jemand sagt
"Hol mich hier raus, ich bin ein Star", sondern, die Leute rutschen alle freiwillig in den RTL-Promi-Pranger rein, wie die Made in den Speck.

Immer, wenn ich mir das anschaue, gerate ich unwillkürlich ins Staunen. Kann das denn wirklich alles wahr sein, was sich da vor des Zuschauers Auge entfaltet? (Nun wird einem auch klar, warum in dem Wort Zuschauer der Schauer enthaten ist). Zum Bleistift Ingrid van Bergen, 77 Jahre alt und Single. Was zur Hölle macht die Frau in diesem Dschungel ... außer natürlich Geld verdienen? Sie vergisst stets, etwas zu trinken, verlegt dauernd ihren Kamm/Schlafsack/Büstenhalter und irrt als Suchende durch den Urwald, wenn sie nicht ständig alte Knast-Geschichten erzählt. Man muss hierzu wissen, dass Frau van Bergen deshalb Single ist, weil sie vor über drei Jahrzehnten erstens im Affekt und zweitens in ihrer Villa am Starnberger See ihren Lebensgefährten erschossen hat. Vor einem viertel Jahrhundert wurde sie aus dem Knast entlassen, daher auch die erwähnten Geschichten.

Kandidatin Zwei, Frau Mausi Lugner, bekannt als Ex-Ehefrau des Wiener Bauunternehmers Richard "Mörtel" Lugner, wehrt sich gegen Ösi-Witze, fühlt sich im Urwald allein gelassen und will mit ihrer Teilnahme an der TV-Show (Zitat) "ein Zeichen des Friedens" vom Camp in die ach so böse Welt schicken. Wahrscheinlich braucht aber auch sie das Geld; man redet von 20.000 Euro Garantiesumme, einfach nur fürs Teilnehmen. Beide Frauen würden jedoch im echten Dschungel nicht einmal drei Tage überleben, sind sie doch noch nicht einmal gemeinsam in der Lage, aus Bambusrohren eine Wasserleitung zu bauen und vergeigen so eine Schatzsuche völlig.

Lorielle London, ein wenig talentierter und inzwischen zu einer Art Frau umoperierter Sänger, heult und lametiert ständig herzerweichend über sein ... entschuldigung ... ihr Dasein, so dass sich der Zuschauer fragt, ob das mit der Geschlechtsumwandlung wirklich eine so gute Idee war. Als Dschungelkönigin würden sich für Lorielle, sagte er/sie, so viele Möglichkeiten im Leben eröffnen. Welche, sagt Lorielle nicht.

Kandidat Günther Kaufmann lebt sein Leben im Urwald so gewissenhaft, als wäre er, wie vor vielen Jahren, der der Verdächtige bei Oberinspektor Derrick. Der Schauspieler Kaufmann saß übrigens auch mal wirklich im Gefängnis, weil er als guter Schauspieler der er unbestritten ist (einst wurde er von Rainer Werner Fassbinder entdeckt), aufgrund
eines falschen Mord-Geständnises zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war. Nachdem die tatsächlichen Täter verurteilt worden waren, kam Kaufmann wieder auf freien Fuß. Im Dschungel liegt er meist in der Hängematte, wenn er nicht gerade das stille Örtschen besucht, und genießt das Leben vor Ort, man darf es auch hier annehmen, hauptsächlich wegen des Geldes.

Doch was macht eigentlich mit Norbert Schramm ein renomierter Eiskunstläufer und zweimaliger Europameister im heißen Dschungel? Richig: Geld verdienen. Überhaupt: das Leben in dieser Gruppe und unter diesen erschwerten Bedingungen - es ist wie eine domestizierte menschlicheKatastrophe, bei der mann nicht wegschauen kann, aber richtig helfen hann man auch nicht, denn jeder kostenpflichtige Anruf dient nur dazu, eine Sternschnuppe vor dem Rausschmiss zu retten.

Auch dieses Mal hat RTL wieder im Fundus von fast gescheiterten Existenzen gewühlt und wahre Prachtexemplare gefunden, die neben Bergen, Lugner, London, Kaufmann und Schramm Dschungelkönig werden wollen und dazu jede Menge Humor beweisen müssen. Hoffentlich denken sie daran: Humor kann man lernen, der Rest ist, wie bei jeder Tätigkeit, Begabung. Übrigens muss man sich als Zuschauer keinerlei Gedanken um den weiteren Fortgang der Show machen. Es ist hier so wei immer, bei der leichten Fernsehunterhaltung: Wenn die Quoten stimmen, wird das Spektakel fortgesetzt. Wenn nicht, versinkt die virtuelle Dschungelstadt in der Versenkung. Wie ihre Sternschnuppen.

Dienstag, 13. Januar 2009

Einmal Kapitalismus und zurück

Beim Discounter gab es mal wieder günstige Bahn-Fahrkarten und da mein Kontoauszug überraschender Weise ein kleines Guthaben auswies, kaufte ich mir deren zehn. Zehn Bahntickets mit jeweils einer Hin- und Rückfahrt für ganze 55 Euro das Stück. Nicht weil ich Viel-Fahrer bei der Deutschen Bahn werden wollte ... Gott bewahre, nein! Ein guter Freund hatte mir dazu geraten, denn so könne ich in kurzer Zeit eine Menge Geld verdienen und viele Menschen dazu noch glücklich machen. Ich selbst versprach mir davon einen Crashkurs in Kapitalismus - wenn alles gut lief vielleicht sogar einen Cashkurs.

Zehn Bahn-Fahrkarten lagen also kurz darauf vor mir auf dem Tisch und die versprachen für je 55 Euro zwei beliebige Fahrten quer durch Deutschland. Für 55 Euro kommt man ja heutzutage höchstens von Jena nach Leipzig und das noch nicht einmal mit dem ICE-Train. Mein Freund hatte mir auch gleich einen Tipp mit gegeben, wie ich die Tickets wieder loswerden könnte: über eine Annonce bei einer lokalen Mitfahrzentrale. Keine exorbitanten eBay-Gebühren, kein Versand, nein: denn willige Menschen rufen mich an, besuchen mich und holen sich das Objekt ihrer Begierde gleich bei mir ab.

Um 4 Uhr 30 morgens läutet mein Handy zum ersten Mal. Noch schlaftrunken nenne ich dem Anonymus meine Adresse. Um 6 Uhr stehe ich dann endlich auf, weil mich inzwischen immer wieder jemand aus dem Schlaf gerissen hat. Noch unter der Dusche läutet es an meiner Tür. Ich ziehe den Bademantel über und öffne. Gleich der erste Käufer will mit mir feilschen: 69 Euro hatte ich mir vorgestellt, weil diese Zahl einfach geil ist, wie ich gestern Abend vor dem Einschlafen fand. Allerdings hatte ich dabei nicht bedacht, dass ich jetzt zumindest immer mit ein paar Euromünzen in der Tasche herumlaufen muss, vor allem, wenn die Menschen mit mir feilschen wollen. Um der Sache ein schnelles Ende zu bereiten, einigen uns auf 65. Toll, zehn Euro Gewinn und das Wechselgeld gespart.

Die nächste Anruferin möchte sich mit mir bei Mr. Beans auf einen Kaffee treffen. Vorher muss ich aber noch den Touristen zu mir navigieren, der schon drei Anrufe lang durch Jenas Straßen irrt und meine Wohnung nicht finden kann. Er nimmt das Ticket für 70 Euro und bedankt sich noch überschwenglich bei mir. Im Mr. Beans finde ich die Anruferin, Claudia, sofort. Ganz Geschäftsmann, der ich inzwischen bin, frage ich Claudia, ob sie für mich gleich einen Kaffee mitbestellt hat. Hat sie nicht. Ist auch ganz gut, denn sie sieht zwar total nett aus, hat aber von Angebot und Nachfrage noch nie etwas gehört. Als sie feststellt, dass die Tickets für "nur 55 Euro" gekauft habe, sagt sie mir, 69 Euro sei unverschämt, sie sehe das nicht ein usw., weil: ihr Bruder hätte ihr die Tickets beim Discounter holen sollen, hat aber die Aktion verpennt. Am Ende will sie mir 60 Euro geben, ich verzichte dankend und sie steht auf, zieht wütend von dannen und ruft mir noch ein "Arschloch!" nach, obwohl ich niemals vorgegeben hatte, dass ich eine karitative Vereinigung wäre. Wahrscheinlich wird sie sich später eine einfache Fahrt für 95 Euro gekauft haben. Also ehrlich: Solche Idealisten kann man einfach nur bewundern. Sie scheitern immer wieder in unserer Welt und stehen trotzdem voller Moral jedes Mal wieder auf und rennen von neuem gegen die Wand.

Das nächste Mädel wartet schon auf der Treppe vor meiner Wohnung. Ich biete ihr, ganz edel, einen Kaffee an, denn den hatte mir Claudia ja vorenthalten. Sie dankt mir, sagt, dass sie Susann heißt und Studentin sei, nippt am Kaffee und eine knappe halbe Stunde später weiß ich alles über die Eheprobleme ihrer Eltern, was ihre zwei Cousins und die vier Nichten machen, kenne ihre Urlaubspläne und wann man sie immer im Rosenkeller finden kann. Als ich über die Verspätungen der Deutschen Bahn zu lametieren beginne, steigt Susann hellauf begeistert ein. Man sieht: Gemeinsame Feinde schweißen auch die fremdesten Menschen für immer zusammen. Als das Gespräch wieder in Richtung ihrer Mama abdriftet, lege ich die zwei Tickets auf den Tisch, sie zahlt 140 Euro, ich gebe ihr zwei zurück und wünsche ihr noch eine gute Fahrt in vollen Zügen.

Inzwischen mache ich mir durchaus Gedanken darüber, wo das moralische Problem beim Weiterverkauf von günstigen Bahn-Tickets liegen soll, da klingelt es wieder. Diesmal ist es ein Student, der voller Enthusiasmus sagt: "Geil, nur 70 Euro, alle anderen wollen 100." Das wiederum hebt mich schon fast vom Sheriff von Nottingham in den Stand eines Robin Hood. Oder noch höher, denn ich habe ja meine zehn Fahrkarten ordentlich bezahlt. Nachdem alle Fahrkarten ihren Besitzer gewechselt haben, bin ich um rund 150 Euro und etliche Erfahrungen reicher als zuvor.

Spät abends klingelt immer noch das Telefon. "Nein", sage ich "leider habe ich keine Tickets mehr". Ein Anruf lässt ich aufhorchen. "Ich habe gesehen, Sie verschenken einen Rottweiler, ist der noch zu haben?" Wie, was, welcher Rottweiler? Die Antwort ist einfach: Ein Gutmensch, der den Weiterverkauf meiner Tickets boykottieren will, weil er es wahrscheinlich verwerflich findet, hat unter meiner Telefonnummer einen Rottweiler annonciert - für lau natürlich. "Nein, auch schon weg", antworte ich. Von nun an klingelt das Telefon im Halb-Stuudentakt. Ein zu verschenkender Kampfhund scheint, trotz aller dazugehöriger Behördenprobleme und Steuernachteile, noch begehrter als Bahn-Tickets zu sein. Noch nachts um Drei läutet bei mir das Telefon. "Ob der Hund noch da sei?", möchte man wissen. Erst dann lege ich verzweifelt den Hörer neben das Telefon.

Am nächsten Morgen hat sich bei mir zumindest die Meinung gefestigt, dass es moralisch nicht vertretbar ist, die Telefonnummer fremder Leute zu missbrauchen, die Weitergabe begehrter Fahrkarten aber schon. Wieder klingelt das Telefon. Jemand fragt nach einer Mitfahrgelegenheit. Als ich ihm erkläre, dass keine Tickets mehr da sind, sagt er: "Du willst mir also Tickets für die Deutsche Bahn verkaufen, Du Schwein!" Ich lege auf und meine Reihenfolge der Moral steht. Platz 1 für den Ticketverkäufer, Platz 2 für Telefonnummern-Mißbrauch und ganz unten auf Platz 3 landet jemand, der einen unbekannten Fahrscheinverkäufer als Schwein bezeichnet.

Machen denn die hohen Bahnpreise alle Menschen wahnsinnig? Ich lasse meinen zweitägigen Crash-Kurs in Kapitalismus noch einmal Revue passieren. 150 Euro verdient, Menschen kennengelernt, keinen Kampfhund verschenkt, wenig Schlaf gehabt, als Schwein beschimpft worden. - Was solls? So leben sie eben, die Kapitalisten.

[Inspiriert von der Geschichte "Mit Lidl-Tickets auf den Schwarzmarkt" von Marcus Paul]