Dienstag, 30. September 2008

Nichts weltbewegendes

Die Küche ist der Kriegsschauplatz der kleinen Leute, unabhängig von deren Körpergröße. Kleine Leute darf man nicht mit Kleinbürgern verwechseln und man sollte auch Heinz Erhardt im Hinterkopf behalten, der sich in einem seiner Filme laut entrüstete: "Ich bin kein kleiner Leut!". Ganz nebenbei sind oft auch Kleinbürger, quasi über Nacht und damit ohne zu reifen, zu ganz Großen geworden und die Unreife zeigte sich dann mit der Zeit. Das ist gar nichts weltbewegendes, auch wenn diese Neu-Mächtigen, wie ich sie schon lange betitele. auch wenn diese Neu-Mächtigen schnell an ihre Grenzen stoßen oder in ihre Zoll-Schranken verwiesen werden. "Adolf", hab ich ihm einmal im Traum gesagt. "Adolf, das wird nichts mit der Weltbewegung. Weil es im Grunde nichts weltbewegendes ist. Etwas Welterschütterndes vielleicht, aber nichts weltbewegendes. Tausend Jahre reich? Gabs doch noch nie vorher. Und wirds wohl auch nicht geben. Kirche, Kommunismus, Fussball; die haben sich durchgesetzt. Aber Nationalfaschismus. Wie soll das eine Welt-Bewegung werden. Ihr könnt froh sein, wenn ihr die nächsten zehn Jahre gut übersteht." - "Wenn einer, der mit Mühe kaum, gekrochen ist auf einen Baum, schon meint, dass er ein Vogel wär, so irrt sich der", sagt uns Herr Wilhelm Busch, und der konnte immerhin besser malen als Adolf H. aus B. in Ö.

Das konnte ja wirklich nichts nachhaltiges werden, das eilig zusammengeraubte Tausendjährige Reich als DIE Welt-Bewegung schlechthin. Weil wir gerade bei 'schlechthin' sind: Da soll es soll ja noch Wehrmachtsangehörige geben, die bestätigen können, dass der Rußlandfeldzug inklusive Stalingrad ein Riesenmist war; "Schlecht hin und noch schlechter zurück" - und die müssen es ja wissen. Eigentlich war Adolf ja - "Zum Glück", sage ich immer, "Zu unserem Glück" - das erste Opfer der Globalisierung. Weltkrieg II. Der erste war ja im Grunde nicht als Weltkrieg gewertet worden, bei uns hieß er nur "Der große Vaterländische Krieg" ... wegen Wilhelm Zwo. Das war kein kleiner Leut und kein Kleinbürger. Der war von Geburt an kaiserlich. Aber Adolf, der Bürger aus Braunau am Inn, einer Stadt, die zu Deutschland im gleichen räumlichen Zusammenhang steht, wie Slubice in Polen, ein Maler, der ohne Einbürgerungstest nach Deutrschland kam, verklärt sich plötzlich als "Der größte Feldherr aller Zeiten", GröFaZ, mit Anspruch auf die Weltherrschaft durch nationalen Faschismus. Das funktioniert doch schon im Ansatz nicht. Ich sage ja: Kleinbürger und ihre Ideen. Quasi über Nacht äußerlich etwas ganz Großes, aber innerlich noch nicht ausgereift.

Ich bin ja, um das hier noch einmal klarzustellen, ein altgedienter Antifaschist ... falsch: ein ungedienter Antifaschist; d.h. ich habe ja noch nicht mal gedient. Damit bringe ich alle Voraussetzungen zur inner-ehelichen Kriegsführung mit. Also ab in die Küche, Augen zu und durchs Minenfeld gelaufen.
Geschirr rausräumen, kochen, spülen, Geschirr einräumen, Kühlschrank verwalten, wischen, Mülltrennung, Backofen sauber halten. Ich sag immer: Wenn man da was falsch macht, kann ganz schnell mal was explodieren, egal ob es der Gasherd oder die Liebste ist. In diesen Momenten, wenn die Druckwelle naht, da gibt es nur eins und zwar die Ohren auf Durchzug schalten. Nur so kommt man aus der Sache einigermaßen lebend wieder raus. Obwohl auch diese Momente des Lebens im Grunde nichts weltbewegendes sind.

Montag, 29. September 2008

Des Lebens Paradoxien

Es gibt im Leben viele Paradoxien, wahrscheinlich ebenso viele wie Galaxien, was mit der sprachlichen Ähnlichkeit zusammen hängen kann. Nehmen wir einmal die Tatsache, dass kein Mensch unsterblich ist und doch sich selbst in seinen Nachkommen unsterblich macht. Anhand der DNA eines in der Bronzezeit verstorbenen Menschen und eines, heute in der Nähe des Fundortes der Knochen des ersteren, lebenden Menschen, konnte nachgewiesen werden, dass der Tote ein direkter Vorfahre dieses lebenden Menschen ist. Mehr als 3000 Jahre lang haben demnach Teile seiner Sippe ihren Lebenraum niemals verlassen, sind also durchaus als 'bodenständig' zu bezeichnen. Trotzdem zeigt die Sache eines um so klarer: Unser Leben ist etwas, aus dem wir (obwohl man uns zu Hauf Lebensversicherungen anbietet) mit 100-prozentiger Sicherheit nicht lebend herauskommen werden.

Mit Lebensversicherungen ist es also in etwa genauso, wie mit Liebesversicherungen oder -beteuerungen. Wahrscheinlich hat man eine Lebensversicherung nur deshalb so genannt, weil sich der Ausdruck Todes-Versicherung nicht so gut anhört. Oder man hat den Begriff 'Todes-Versicherung' offen gelassen für das noch folgende größte Versicherungsgeschäft aller Zeiten: "Wenn Sie tatsächlich nicht sterben sollten, zahlen wir Ihnen hierfür einen Betrag von 100 Millionen Euro ... auszahlbar an Ihrem 250. Geburtstag" oder so ähnlich wird das späterdann heißen, man kennt das ja. Auf jeden Fall wird das für die Versicherungsbrance ein todsicheres Geschäft. Selbst der Versicherungsfall Jesus ist bis heute durch die 'Münchner Rück' noch nicht vollständig anerkannt.

Des Lebens Paradoxien schlendern durch die Zeiten. Nehmen wir doch einmal die Kriegsführung: Soldaten werden da nicht einfach, obwohl das im Krieg ja hin und wieder ein- oder zweimal passieren soll, von einer Granate zerfetzt, einem Bajonett aufgeschlitzt, von freundlichem Feuer verkohlt oder von einem sinkenden Schlachtschiff im Meer ersäuft. Nein! Gott bewahre! - Soldaten fallen. Seie fallen im Krieg, so als ob sie jederzeit wieder aufstehen könnten. "Schütze Meyer! Sie haben lang genug faul und halb verwest rumgelegen. Jetzt rappelnSie sich mal wieder auf. Haben Sie sich nicht so. Sie sind doch nur gefallen.Also: aufstehn, aufstehn!".

Oder schauen wir uns mal um bei Geheimdienstmitarbeitern. "Was wir hier machen sind saubere Sachen;
absolut wertfrei, da gibt's gar nichts zu lachen." O-Ton Heinz Rudolf Kunze, und der muss es ja schließlich wissen. Feindliche Agenten, die werden nicht mit präparierten Schirmen vergiftet, von Scharfschützen erschossen oder in ihrem Auto in die Luft gesprengt. Sie werden nicht von Lastwagen überfahren, von sadistischen Diktatoren nach wochenlangen Tantalusqualen ins Jenseits befördert oder bekommen von freundlichen Amerikanern so lange die Haare gewaschen, bis ihnen das Wasser zum Halse heraushängt; 'Waschen, legen, schneiden'. Um politisch korrekt zu sein, darf ich die Russen nicht vergessen. "Meine Name ist Tilly und was das 'Palmolive Polonium' angeht: Sie baden gerade ihre Hände drin." - Gegnerische Geheimdienstmitarbeiter werden ausgeschaltet, gerade so, wie das Licht im Schlafzimmer. Mit einem Druck auf den Schalter kann man das Licht jederzeit wieder einschalten. Also kann man das mit ausgeschalteten Agenten auch.

Aber wir brauchen doch gar nicht so weit zu gehen um Lebens-Paradoxien zu finden. Schauen wir uns einfach einmal unser eigenes Land an. Das Schulfreiheitsgesetz in Hessen regelte seinerzeit nicht etwa die Schulfreiheitswahl der Eltern, sondern schränkte sie ein. Folgerichtig erleichterte das Steuererleichterungsgesetz auch nicht etwa dem Bürger dessen Arbei, sondern dem Staat. Die SPD hat Hartz IV in Wirklichkeit gar nicht so gewollt und gemeint ('gemeint' kommt übrigens von 'gemein' - Wortstammbildung, Quinta oder Quarta, ich weiß es nicht mehr so genau). Die Idee war doch nur, die Arbeitslosigkeit 2006 kurzzeitig, aber ungewöhnlich hoch zu senken, damit Schröder wieder gewählt wird um seine Agenda 2010 weiterzuführen. Kontte doch keine ahnen, dass Hartz IV so missverstanden wird. Hätte man aber doch, denn Hartz IV klingt eher nach einer Weltraumstation auf einem Jupitermond, auf der Erze abgebaut werden wie in dem Film mit Sean Connery, und bei weitem nicht so schön wie seine Sachvorgänger - wir betonen jetzt immer die zweite Silbe - ArbeitslosenHILFE und SozialHILFE. Wer ist damals bloß auf die Idee mit diesem Namen gekommen? Hartz IV? So was ist einfach paradox.

Natürlich hat die CSU seinerzeit in ihrem Land auch nicht 17,3 Prozent ihrer Wähler verloren sondern (Zitat) "... eindrucksvoll ihre Rolle als stärkste Kraft des demokratischen Zentralismus in der DDR ..." ...äh ... da habe ich gerade etwas verwechselt ... äh ... "e
indrucksvoll ihre Rolle als stärkste Kraft des bürgerlichen Lagers in Bayern bewiesen".

Und was ist mit dem Mann mit dem grünen Daumen, ich meine dem Mann, der
bei seiner Fernsehansprache am 01. Juli 1990 den Menschen versprach, dass es keinem durch die Vereinigung Deutschlands schlechter, aber vielen besser gehen werde. Es ist der gleiche Mann, der, zur Affäre Barschel befragt und zu dem, was damals im Schleswig-Holstein genau vorgefallen war, antwortet: "Das waren schwarze Schatten". Wenig später wurde der gleiche Mann vor einem Untersuchungsausschuss gefragt, warum er nichts zur Herkunft der zwei Millionen DM Spendengeldern sagen würde, die er persönlich für seine Partei entgegen genommen hätte. Er sagte damals, er hätte den Spendern sein Ehrenwort gegeben, deren Namen zu verschweigen. Man sagte ihm darauf hin, das er gemäß des Parteiengesetzes, eines gesetzes, welches er als Bundeskanzler selbst unterzeichnet hatte, und der darin verankerten Publikationspflicht, zur Auskunft verpflichtet ist. Der Mann, ich glaube Kohl hieß er, schwieg. Auf den Vorwurf, er, Kohl, habe zudem die Unwahrheit gesagt und uneidliche Falschaussagen in Bezug auf seine Kenntnis des Zweckes der sog. 'Staatsbürgerlichen Vereinigung' als Spendenbeschaffungsanlage gemacht, verteidigte ihn sein Anwalt und Parteifreund Heiner Geißler mit der Feststellung, er, Kohl, habe bei seiner Aussage wahrscheinlich einen "Blackout" gehabt.

Fordern und Handeln sind im Leben immer schon zwei Dinge gewesen. Das ist im Grunde nicht paradox. Paradox ist es da schon eher zu nennen, dass es trotz allem immer wieder Menschen gibt, die den Grundsatz "Ich dien" wörtlich nehmen und ihrem Land dienen. "Ich dien" ist übrigens ein deutscher Spruch, der seit 700 Jahren der Leitspruch des britischen Prince of Wales ist, was durchaus auch zum Thema passt.

Wie die Welt sich dreht (... für Wolfgang Neuss)

Gelegentlich fragt man mich, woher mein Zitat mit den falschen Entscheidungen und deren Konsequenzen stammt, so wie auch gestern Abend nach einer Lesung im Radio. Wo finde ich das Zitat, wurde ich gefragt und ob es von mir sei. Deshalb möchte ich es hier einmal ganz offiziell kund tun.

1985 dichtete ich angesichts eines alten Indianers einen Lennon-Song ins Deutsche, weil ich ihn so passend fand. Er heißt:

WIE DIE WELT SICH DREHT

Manche meinen ich sei verrückt, nur weil ich tue was ich tu
Man warnt mich, das würde mich noch mal ruinieren
Wenn ich sage, es geht mir gut, dann schauen sie mich komisch an
Das ist doch kein Leben, ganz ohne Glanz und ohne Erfolg

Es wird gesagt, ich sei faul und verschwende mein Talent
Man gibt mir Tpps, was ich besser machen kann
Vermisst du nicht die Zeiten, als es dir noch besser ging
Fragt man mich und ich sage: „Och, eigentlich nicht“

Ich sitze einfach nur da und schaue wie sich die Welt dreht
Es macht Spaß dabei zuzusehen
Wie die Menschen im Karusell des Lebens fahren
Und ich tue nicht mehr, als zuzusehen

Menschen stellen sich Fragen, auf die es keine Antwort gibt
Und verwirren sich jeden Tag damit ein klein wenig mehr
Wenn ich das für sie mache, dann schütteln sie den Kopf
Und sagen: Jetzt hat er seinen Verstand verloren
Doch es gibt keine falschen Entscheidungen, nur Konsequenzen

Ich sitze einfach nur da und schaue wie sich die Welt dreht
Es macht Spaß dabei zuzusehen
Wie die Menschen im Karusell des Lebens fahren
Und ich tue nicht mehr, als zuzusehen
Ich tue nicht mehr, als zuzusehen
Ich tue nicht mehr, als zuzusehen

[Musik: John W. Lennon, "Watching The Wheels" aus "Double Vision"/1980]


Das Zitat leitete ich damals ab von Lennons Satz "There's no problem, only solutions"; daraus wurde bei mir "
Es gibt keine falschen Entscheidungen, nur Konsequenzen" (... ein Satz, bei dem mir Ulla Meinecke übrigens heftigst widersprochen hat. Sie versicherte mir, es gäbe im Leben sehr wohl falsche Entscheidungen).

Freitag, 26. September 2008

Eight Days A Week

Wie sangen die Beatles einst so schön: "Eight Days A Week".
Und siehe da ...

Mittwoch, 17. September 2008

Texte anlässlich meines bevorstehenden 50. Geburtstags (No. 1 von 7)

MORGEN WIRD MAX GOLDT FÜNFZIG

... und das soll Grund genug sein, die mir noch verbleibenden 75 Tage bis zu meinem Übergang vom alternativen zum alten Sack zu nutzen, um die wenigen weißen Flecken auf meiner Weste ("Nein, ich hatte niemals sexuelle Beziehungen zu Miss Lewinsky und habe auch nie versucht, dabei zu inhalieren.") mit Leben zu erfüllen.

Hierzu zählt auch die sexuelle Grundausrichtung meiner Person. Darüber habe ich so gut wie noch nie etwas erzählt und wer mich nur über meine Texte kennt, der ist diesbezüglich vielleicht schon am grübeln. Also Folgendes:
Meine sexuelle Ausrichtung lässt sich grundsätzlich daran festmachen, dass ich über Jahre an sämtlichen Schuhgeschäften in - aufgepasst - Deutschland, Frankreich, Tschechien und Tunesien, den Niederlanden, Polen und Ägypten vorbeilaufen konnte, ohne auch nur einem Paar Schuhen meine Aufmerksamkeit zu widmen. Dagegen habe ich in all diesen Ländern stets viel Zeit in den ortsüblichen Tempeln für Unterhaltungselektronik verbracht und ein Vermögen in die sinnlosesten Neu- und Torheiten investiert, egal ob ich diese wirklich gebraucht oder später je noch einmal genutzt habe.

Ein besonders inniges Verhältnis habe ich dabei zu Funkuhren entwickelt, was sich vielleicht auf ein Kindheitserlebnis zurückführen lässt, als meine Eltern bei der zwecks Lektüre erworbenen Fernsehzeitschrift von der lange Jahre in Verwendung befindlichen HÖR ZU des Axel Springer Verlags nicht auf die, von mir wegen der immer auf der letzten redaktionellen Seite
als kleine Beschäftigungsaufgabe versteckten Maus im Rätselbild des Zeichners Sepp Arnemann favorisierte, TV HÖREN UND SEHEN aus dem Bauer Verlag, der zum Beispiel auch die BRAVO herausgab, umgestiegen sind, sondern auf eine Zeitschrift, die sich FUNK UHR nannte und erneut aus dem Springer Verlag kam. Das hat natürlich nichts mit Funkuhren im Allgemeinen zu tun, deren digital kodierte Zeitübertragung 1967 von Prof. Wolfgang Hilberg aus Darmstadt erfunden und zum Patent angemeldet wurde und die seit 1990, angefangen mit der 'Mega 1' von JUNGHANS als welterste Funkarmbanduhr, die gesamte Erde erobert haben.

Vor allem Funkwecker und Wandfunkuhren sind es, die heute meine Begierde erregen. Inzwischen sind diese sogar für weniger als 10 Euro erhältlich und so kann es durchaus sein, dass sich z. B. in meinem Büro eine analoge Wandfunkuhr von HECHINGER befindet, eine ebensolche digitale von LIDL, ein Funkwecker von TECHNOLINE und noch einer von MARANELLO; letzteren habe ich vom Nachttisch meines verstorbenen Schwagers genommen, zwei Tage nach dessen Tode. Wahrscheinlich schaut der jetzt gerade von oben zu und liest diesen Satz und deshalb sage ich: "Karl, er steht immer noch auf Weckfunktion 7 Uhr, so wie Du es Dir eingestellt hattest."

Das mit
der Wandfunkuhr von HECHINGER, der von LIDL sowie den TECHNOLINE und MARANELLO Funkweckern betrifft, wie gesagt, nur mein Büro. Insgesamt nenne ich in meinem Lebensbereich etwa zwanzig Funkwecker und Funkuhren mein Eigen und diese Zwanzig sind nur ein Teil meines geheimen Lebens als Elektronik Junkie. Gar nicht reden möchte ich hier von meinen Radios, Funkapparaten, Walkman- und MiniDisc-Geräten, Tonbandmaschinen, CD- und Schallplattenspielern, Keyboards, Orgeln und Synthesizern, Computern, Beschallungsanlagen, Fernsehern und Atomkraftwerken. - Gut, bei den Atomkraftwerken habe ich jetzt etwas übertrieben, aber im Grunde bin ich süchtig nach jeglicher Art von Elektronik.

Ich wollte das hier nur einmal erwähnt haben.

Roll over Beethoven

Sein Name ist Berry. Nicht Black sondern Chuck Berry. Wolf Wondratschek hat ein ganzes Buch über ein schwarzes Zimmer geschrieben ("Chucks Zimmer") und dabei Einblicke in Berrys schwarze Seele gegeben. Nebenbei bemerkt: Der Mann ist Sexist und gelegentlich derart frauenfeindlich ("My Ding-A-Ling"), dass ihm die Creme de la Creme der aktuellen US-Rapper kaum das Wasser reichen kann.

Vorbild war und ist dieser Mann nicht nur für Willy De Villes* Barttracht, sondern vor allem für die Performance auf Rock 'n' Roll Bühnen, die er, Berry, erfunden hat, damals, 1952 im Huff’s Garden, einem Club in St. Louis, als er in das Johnnie Johnson Trio aufgenommen wurde. An der Spitze der Riege seiner Nachahmer stehen Namen wie Keith Richards oder Jimmy Page aber auch Marc Bolan; allesamt manigfaltig schleche Kopien des Originals. Weil ich gerade Richards, Page und Bolan erwähnt hatte: natürlich ist auch Chuck Berry Gitarrist ... und was für einer. Niemals zuvor und kaum jemals danach hat ein Songintro die Qualität, Kraft und Kürze von "Johnny B. Goode" erreicht - selbst "I Suffer" von Napalm Death nicht, der kürzeste Song der Welt. Berrys Riffs und Chords waren schon zu einer Zeit legendär, als andere große Künstler noch in den Windeln lagen (später nahmen die Beach Boys deshalb aus Rache mit "Surfin USA" eine schleche Kopie von "Sweet Little Sixteen" auf).

Stundenlang kann man über Chuck Berrys Songs philosophieren und welchen Einfluss sie auf Künstler und Bands hatten, bis hin zu den "Back in the USSR"-Beatles, die Chucks Musik in Hamburg perfekt zum Aufreißen der Mädels nutzten: "Just let me hear some of that rock an' roll music. Any ol' way you choose it. It's got a back beat, you can't lose it. Any ol' time you use it. It's gotta be rock an' roll music, if you wanna dance with me."
Philosophieren kann man deshalb auch über Chucks Texte und Wortspiele die so einfach und genial sind, wie es der Songtitel "Johnny B. Goode" zeigt, dieses Lied über den 'American Dream', das er einst für seinen Bandboss Johnnie Johnson verfasste.

Es ist die Story eines armen farbigen Jungen vom Lande**, der ohne Schulabschluss, aber einem großen Talent zum Gitarrenspiel, davon träumt, zu einem Star zu werden und viel Geld zu verdienen. Die Geschichte wird von Berry so flott erzählt, dass sie nur knapp zwei Minuten und dreißig Sekunden dauert - andere Autoren hätten darüber ein ganzes Buch veröffentlicht. Legendär wurde Berry als Texter übrigens auch durch sein Bemühen, möglichst viele Städte der USA in seinen Songtexten unterzubringen (was auch den Anlass für "Surfin USA" klärt). Leider gehen Chucks Texte jedoch in seiner Musik für uns, andere Muttersprachen pflegenden, Mitteleuropäer leicht unter. Hausaufgabe für heute deshalb: Mal ganz genau hinhören, was der große alte Mann des Rock 'n' Roll den Menschen so alles schon erzählt hat.


Man braucht jetzt nicht über langanhaltenen Erfolg oder Mißerfolg oder die Gründe für das eine oder andere zu reden. Das hat bei schwarzen Musikern, die zu Zeiten von Elvis Presley diesem die musikalische Tonspur leiferten und dafür geächtet wurden, ohnehin keinen Sinn. Aber Chuck war damals, und damit anders als Elvis oder Bill Halley (mit Ausnahme vielleicht von Buddy Holly) der einzige Mann, der Songs schreiben und sie auf die Gitarre und damit ins Publikum transportieren konnte.

Für all das wurde er vor genau 22 Jahren als erster Musiker in die Rock 'n' Roll Hall of Fame aufgenommen: der Mann aus St. Louis, Missouri, der mit vollem Namen Charles Edward Anderson Berry heißt und den ich als Chuck Berry kennen lernte. Nicht persönlich, aber über das violette Etikett von BELLAPHON Schallplatten. Damals, als es noch Schallplatten gab. Was soll ich noch dazu sagen, außer: Ich liebe ihn - selbst wenn er tatsächlich, was hin und wieder berichtet wird - ein menschliches Arschloch sein sollte.

Auf dass sich Ludwig van B. bei der Musik von Chucky B. noch lange in seinem Grabe umdreht.

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* = pronaunzed: ['devil']
**=zuerst sang Berry "colored boy"; nachdem sein Plattenlabel befürchtete, dass dies dem Plattenverkauf schaden würde, dichtete er es in "country boy" um.

Mental Laufschnapping

Manchmal, wenn ich schneller laufe als normalerweise, dann kommen mir wirklich gute Ideen für Texte, da laufen mir die Themen und Worte nur so durch den Kopf. 'Schlendern ist Luxus' sagt Ulla von Meinecke, die große Lebens-Expertin, und genau das ist es auch. Schlendern ist Luxus und schnelles Laufen Arbeit.

Wer geistig arbeiten muss, für den gibt es grundsätzlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder er sollte abends Chianti saufen, dann entwickeltn sich die besten Ideen, die man aber am nächsten Morgen oder Tag, je nachdem wann man aufwacht, wieder komplett vergessen sind. Im Schädel wabbert nur noch die vage Erinnerung, dass in der letzten Nacht, auf der Basis Stoischer Philosophie und Wieners Erkenntnissen nichtlinearer Probleme der Zufallstheorie, neben dem Welthungerproblem auch die Börsenkrise und die Frage des Mindestlohns gelöst wurde. Nur wie noch gleich?


Ich plädiere für schnelles Laufen, nicht zu verwechseln mit 'Nordic Walking'. Überhaupt: 'Nordic Walking', also ich sage ihnen. Haben sie schon einmal in Ahlbeck neben der Seebrücke im Strandkorb gelegen und ...
... angezogen natürlich. Das sollten sie sich in Ahlbeck immer merken: Links von der Seebrücke, Richtung Heringsdorf, müssen sie angezogen liegen und rechts, Richtung Swinemünde, natürlich angezogen also nackig. Wo war ich laufengeblieben? Ach so, beim 'Nordic Walking'.

Jedenfalls, wenn sie da so im Strandkorb liegen - fünf Euro der Tag, die Stunde einsfuffzig, nicht vergessen abends den Schlüssel wieder in den kleinen Kasten einzuwerfen - da sehen sie Massen von Menschen an der Wasserkante entlangwalken; Wasserkante, auch bekannt als Waterkant, das ist der Übergang von den Wellen auf den Strand. In jeder Hand haben die Walker einen Stock und dann links/rechts, links/rechts, links/rechts, immer
links/rechts, links/rechts, links/rechts. Manchmal geht auch ein Eheteil zügig voran und das andere schleppt sich mühsam hinterher. Alles schon erlebt, ich sage ihnen: unglaublich! Hüsch hätte seine wahre Freude dran gehabt - „Na, heute noch nach Graubünden?“.

Jetzt habe ich mich aber selbst fast verlaufen, wobei ich wieder beim Thema wäre: das schnelle Laufen, denglisch = "fast verlaufen". Ich laufe also oftmals schnell, wenn ich neue Ideen für meine Geschichten brauche und es wirkt tatsächlich. Jedenfalls bei mir. Probieren sie es einfach einmal aus und schreiben mir dann, wie es bei Ihnen ist. Vielleicht entwickelt sich daraus ja eine neue Lifestyle-Bewegung, die könnte man dann 'Laufschnappen' nennen. Oder besser 'Mental Laufschnapping'.

Montag, 15. September 2008

Glaube niemals, was geschrieben wird

Da schlage ich ohne große Hintergedanken die Samstagsausgabe der Lokalzeitung auf, will Meldungen wie 'Schnelles Ende einer Alkoholfahrt' oder 'Der mörderische Löwenzahn schlägt zu' lesen und wer lächelt mir da unerwartet auf einem Großfoto entgegen? Eula Kaiserberg, meine Kunstfigur und Romanheldin, zudem eine Frau, die ich besser kenne als viele andere, ist Topthema und belegt die obere Hälfte der Seite 1. "Im Alltag nehmen mich die Leute als Frau eines Rockstars gar nicht wahr" lautet die Überschrift und, falls ich es bisher zu erwähnen vergaß, entschuldige ich mich dafür, es geht natürlich um ihre großartige Beziehung zu dem Sänger, Musiker und Komponisten Franz Andre Korff. Der Künstler hatte seine Eula kennengelernt, als er ... ach lassen wir die Dame doch selbst und mit ihren eigenen Worten berichten, was wirklich geschah.

"Ein kleiner Plausch am Stehtisch in Hamburg während einer Party des Bundeswirtschaftsministers, ja, das war der Anfang", erzählt sie. "Es folgte ein 'Hallo' nach einer Lesung in Binz an der Ostsee neun Monate später und in Kürze sind wir als Ehepaar verheiratet. Franz Andre Korff nebst Gattin Eula - ist das nicht verrückt?", fragt sie die Leser. Und in der Tat: das ist es, wenn man bedenkt wie alles anfing. Damals, als der Musiker FAK gerade Silberhochzeit feierte (keine Traum-Silberhochzeit, aber immerhin!); auch Eula, geborene Liebschütz, geschiedene Führer, war noch ihrem Berliner PDS-Mann Udo Kaiserberg verheiratet und arbeitete an einer Hörfunk-Dokumentation mit über ... Franz Andre Korff.

Man muss wissen: Eula Kaiserberg, gerade in Ausbildung zur Kommunikationstrainerin, hatte sich im Rahmen der Langzeit-Dokumentation "Das Leben des Franz Andre Korff" eine große redaktionelle Aufgabe gesetzt. Sie wollte alles über ihn in Erfahrung bringen, seine Vorlieben oder Abneigungen, politische Ansichten oder die Lieblingszigarrenmarke, seine Vermögensverhältnisse, die bevorzugte Art der Hotelunterbringung, Korffs Übergewicht, Fahrverhalten - Eula fand all das heraus, sogar
dessen Affäre mit der blonden Sabine aus Leipzig. Sie erstellte eine 'Korff-Liste', befestigte sie wie einen Kalender an der Wand und konnte plötzlich in ihm und seinem Leben lesen, wie in einem Buch. Das erleichterte die Arbeit an der Hörfunk-Dokumentation sehr und wohl auch einige andere Dinge.

Korff war damals zwar verehelicht, stand jedoch als bohèmischer Künstler
während seiner Konzertreisen dem weiblichen Geschlecht nicht wirklich ablehnend gegenüber. Angebote gab es für ihn, den gefeierten Rockstar, genügend, darunter die Dame aus Leipzig, welche mit allen Vorzügen der Weiblichkeit mehr als ausgestattet war und mit der Korff oft und gerne auf gleicher Augenhöhe oder tiefer kommunizierte. Bleibt die Frage, wie er schließlich eine eher unscheinbare Person wie Eula erwählen konnte, deren kaum vorhandene Oberweite mit ihren leicht strähnigen Haaren konkurrierte, von denen wiederum nur die kleine Nickelbrille ablenken sollte?

Da kennen sie aber Eula wirklich nihct gut, denn 1.) widmet sie sich allem, was sie sich vornimmt, gut vorbereitet und mit vollster Hingabe und Leidenschaft und 2.) ist ihre Lieblingsphilosophie als Kommunikationstrainerin die folgende: "Wenn sie eine Kiste voller reifen Tomaten haben, welche fällt ihnen da auf?" Genau: Die einzige grüne.
Deshalb klingt sie ebenso unschuldig, wie Angela Merkel, die sich darüber wundert, dass sie gerade Kanzlerin geworden ist, wenn sie der Reporterin erzählt: "Damals in Binz hat er mich erstaunlicher Weise sofort wieder erkannt".

"Wer ich bin, oder besser zu wem ich gehöre, fällt außerhalb meines Freundeskreises den Wenigsten auf und das ist auch ganz in Ordnung so", sagt
Eula, geborene Liebschütz, geschiedene Führer, geschiedene Kaiserberg, demnächst Frau Korff, und könnte dabei so glücklich sein. Doch sie ärgert sich über "teils dubiose Geschichten aus dem Privatleben", die die allmählich doch steigende Bekanntheit nach sich ziehen würde. "Man wird mit der Zeit immun gegenüber den angeblichen Tatsachen, die über die eigene Person in den Medien kursieren", sagt Eula, und die Reporterin beschreibt sie dabei als etwas nachdenklich, was angesichts ihres nicht ganz unerheblichen Fundus an einstmals von ihr geliebten Menschen richtig ehrlich rüberkommt.

Nach dem ersten öffentlichen Auftritt zusammen mit ihrem künftigen Ehemann Nummer 3, sagt Eula Kaiserberg, habe sie den Fehler gemacht, die erschienenen Pressetexte zu lesen. "Da habe ich schon einen Anflug von Angst gespürt, dass jetzt irgendwelche Leute irgendwelche Dinge über mich behaupten, die ich nicht kontrollieren oder richtig stellen kann." Gut, dass Franz Andre ihr da den wohlgemeinten Rat gab: 'Glaube niemals das, was über dich geschrieben wird'.


Korff, den Mann, der Lieder, Musicals und Bücher schreibt, auf seinen Konzerten zig Tausende begeistert und den sie "eher zufällig" kennengelernt habe, wie Eula immer wieder gebetsmühlenartig betont, ihn liebe sie nur "um des anderen Menschen willen", nicht wegen des Geldes, des Künstlers oder des Ruhmes. "Seine Musik mochte ich" spricht Eula im Interview. "Ich war auch auf ein oder zwei seiner Konzerte und hatte vielleicht auch die eine oder andere CD von ihm.", fügt sie an. Und da werden sie auch schon wieder präsent: Eulas Sorgen. Man könnte über ihre Arbeit an der Hörfunk-Doku berichten und den vierzehn Korff-CDs, die sie noch immer nicht zurückgegeben hat. Von Eulas Korff-Konzert-Besuchen in einem halben Dutzend Städten, bei denen ich persönlich an ihrer Seite stand; von Abstechern zu Lesungen Franz Andres mehr als ein Jahr vor dem ersten 'eher zufälligen' Aufeinandertreffen, ganz zu schweigen.

Unter dem Titel DIE TRÄNERIN hatte ich Eula damals sogar das folgende Gedicht gewidmet:
"sie reist ihm nach in fremde städte
hängt an ihm dran, wie eine klette
denkt sich ihr herz aus
blättert in briefen
vergilbte träume
die lange schliefen
hofft auf ein wunder
darauf, dass er sie rette
und reist ihm nach in fremde städte"

Ihr Lebensmittelpunkt sei jetzt an einem anderen Ort, sagt Frau K. der Reporterin, ihr Leben aber nicht anders als früher. Öffentliche Termine, Interviews und Fotostrecken baue sie mittlerweile routiniert in ihren Terminplan ein, obwohl sie am "Erste-Reihe-Sitzen" bei Galaveranstaltungen immer noch keinen Gefallen gefunden habe, was durchaus traurig ist, war dies doch einmal ein wesentlicher Teil ihres Geschäftsmodells gewesen. Mit
"Zu meinen Kernkompetenzen gehört es, Problemfelder schnell und intuitiv zu erfassen und treffsicher zu analysieren. Ausgehend von den Ergebnissen dieser Analyse entwickle ich mit meinen Kunden in kurzer Zeit kreative Lösungsmöglichkeiten, damit sie schnell in die Erste Reihe aufrücken", hat Eula auf ihrer Homepage geschrieben und angefügt "Ich unterstütze die Teilnehmer dabei, diese Veränderungen zu steuern". Durchaus clever, denn so kann nachher niemand sagen, er hätte es nicht gewusst.

"Weißt Du Rainer", sagte sie mir, als wir uns noch
duzten, "Eigentlich fehlt mir nur noch ein prominenter Kunde, der mir hilft, als Kommunikationstrainerin bekannt zu werden. Egal ob aus der Politik, dem Sport oder der Unterhaltungsbranche." Wenige Monate später dann lernten Eula und Franz Andre sich, erst in Berlin flüchtig, dann in Binz näher, kennen und verliebten sich ineinander. Kurz danach schwärmte der Rockstar in einer bunten Illustrierten: "Wo die Liebe eben hinfällt. Es ist erstaunlich, dass ich in meinem Leben doch noch einen Menschen finden durfte, der mit mir die gleichen Vorlieben und Interessen teilt, fast so, als ob er meine Gedanken lesen kann." - Genau das scheint mir Eula Kaiserbergs größte Sorge zu sein, kann sie doch überhaupt gar keine Gedanken lesen ...

... weil
es eine Frau wie Eula in Wirklichkeit ja gar nicht gibt. Auch war Franz Andre Korff niemals in Binz gewesen, da ich auch ihn erfunden habe. Und solche zufälligen Begegnungen zwischen Trainerinnen und Künstlern gibt es erst recht nicht, denn die würden je schließlich professionellen Abstand voneinander halten (= alte Trainerregel).

Ich bekenne also: Ich habe die ganze Geschichte vom Anfang bis zum Ende frei erfunden, wie alle meine Geschichten über Eula Kaiserberg. Wahr an dieser Geschichte ist lediglich der Anfang: die Samstagsausgabe der Lokalzeitung.