Dienstag, 8. Juli 2008

TV-Geschäfte

Martin ist 29 und schon seit vier Jahren mehr oder weniger "im TV-Geschäft”, wie er es nennt. Im Moment will er unbedingt in die neue Sendung mit Oliver Pocher. Deshalb arbeitet er seit zwei Tagen an einem Bewerbungsvideo, um den TV-Moderator zu einem Hausbesuch zu bewegen, in seine kleine Dachmansarde in Berlin-Lichtenberg. Sollte das klappen, dann wäre es nicht das erste Mal, dass zwischen Playstation 3 und Karibik-Postern Kameras aufgebaut würden.

Martin hatte in seiner Vergangenheit bereits einige Talkshow-Auftritte hinter sich gebracht zu Themen wie 'Mein Gott, was bist du peinlich', 'Fette Schlampe, dich will sowieso keiner' oder 'Ich bin gerne arbeitslos'. Bei 'Deutschland sucht das Supertalent' wurde er sogar ausgezeichnet und zwar als einer der fünf schlechtesten Bewerber - Martin hatte sein selbstgeschriebenes Lied 'Hol dir einen runter' vorgetragen. Dabei hat sich der junge Deutsch-Russe, der vor acht Jahren noch mit seinen Eltern im Kaukasus lebte, bei seinen Auftritten nie geschont. Für eine Sendung mit Hugo Egon Balder aß er sogar einen Haufen Würmer, ein Auftritt, der sich "dann irgendwie hochgeschaukelt hat", erinnert sich Martin.

Schließlich meldete sich der englische Sender Channel 4 bei ihm und verpflichtete Martin für die Doku-Serie 'Trashville'. Dort versammelten sich zehn Tage lang Kandidaten aus ganz Europa in landestypischer Tracht, um miteinander zu leben. Morgens zum Fahnenappell musste jeder Dorfbewohner einen Gruß auszubringen; Jorghe aus Spanien sagte "Hasta la Vista, Baby", Caro aus Holland grüßte mit "Na wat gepimpel, is de geest wat simpel" und Martin entschied sich für ein mit Inbrunst hinausgerufenes "Heil Hitler". Trotz seiner Homestory, in der er nackt vor dem Reichstag durch die Havel schwamm, und seinem täglichen Gute-Nacht-Trunk aus einer Schnapsflasche, die er im Ausschnitt einer Italienerin platziert hatte, wurde Martin schon nach drei Tagen aus 'Trashville' gewählt.

Im vergangenen Jahr lief es dann nicht mehr ganz so gut für ihn. Martin war nur kurz einmal als Darsteller eines russischen Mädchenschleusers in einer Gerichtsshow zu sehen. Deshalb setzt er inzwischen alles auf seine Bewerbung bei 'BigBrother' auf RTL II. Jeder neuerliche Start der Serie führt zu einem wahren Volksauflauf bei den Castings und tausende Menschen wittern, wenn schon nicht in ihrem Leben, wenigstens beim TV-Sender RTL II eine kleine Karrierechance. Genauso wie Martin, der nun jeden Tag auf einen Anruf hofft, dass er in den TV-Container darf, weshalb er auch schon zwei Termine beim Arbeitsamt hat sausen lassen; das Programmiert Ärger mit der Behörde zwar vor, aber es hätte doch in der Zwischenzeit jemand für ihn anrufen können, erklärt Martin. Was er für eine Karriere als 'BigBrother'-Bewohner zurücklassen würde? Martin überlegt nicht lange: Familie, Freundin, die Wohnung, den Hund. Das scheint ihm überschaubar, verglichen mit der erkennbar gewachsenen Furcht, einfach nicht mehr wahrgenommen zu werden in einem Land voller Arbeits- und Namenloser wie ihm.

Mögen ihn die einen niveaulos nennen, seine Freunde finden Martin "geil". Wo Perspektivlosigkeit herrscht, wimmelt es von Menschen, die mit einem grundlosen Selbstbewusstsein freiwillig an einem TV-Schauprozess teilnehmen um, zumindest für Minuten, einmal irgendjemand sein zu können, den alle im TV anschauen . Jüngst bekamen fünf arbeitslose BigBrother-Bewohner wenige Tage vor dem Finale 10.000 Euro geboten, wenn sie freiwillig den TV-Container verlassen. Keiner nahm das überaus großzügige Angebot an. Sie schlugen allesamt das Geld, mit dem sich viele einen Weg aus der eigenen Ausweglosigkeit hätten bahnen können, aus. Der Grund: Sie wollten einmal erleben, wie das ist, vor tausenden Menschen zu stehen und angejubelt zu werden. "Dafür scheiß' ich aufs Geld." wie es einer der Kandidaten ausdrückte.

Das sind TV-Geschäfte, die sich für die Veranstalter allemal lohnen. Jedenfalls so lange es genug Menschen wie Martin gibt, der sogar tatsächlich aufs Geld scheißen würde, wenn die Kameras nur richtig und in Großaufnahme draufhalten.

Donnerstag, 3. Juli 2008

Grundordnung

Zu einer Zeit, in welcher meine Eltern nicht mehr ganz so rüstig und fidel waren, als zur goldenen Mitte des Lebens (Fachleute haben für diesen Lebensabschnitt das Wort 'betagt' geprägt), damit sie wissen, wovon ich rede: beide waren so um die Achtzig, da waren sie auf gelegentliche Hilfe im Haushalt angewiesen in Form einer Zugehfrau, wie man früher treffend diejenigen Damen genannt hat, die Putzarbeiten übernehmen, oft auch ein bisschen mehr, also Ordnung in die Wohnung bringen, Geschirr abwaschen, vielleicht auch mal die Wäsche bügeln.

Jedenfalls wiederholte sich jeden Mittwoch morgen ab 7 Uhr, die Dame kam immer um 10 Uhr, folgendes Ritual: Es wurde in der Wohung meiner Eltern aufgeräumt, geputzt und gewienert und zwar von meinen Eltern. Vater war dazu verdonnert worden, die Ecken, ideale Ablageorte für allerlei Dinge, auszuräumen und meine Mutter machte die Betten, wischte in der Küche 'vor', beseitigte den gröbsten Schmutz, räumte die Wäsche in die Wäschetrommel, die natürlich, nach dem die Zugehfrau fertig und gegangen war, wieder heraus geholt wurde, denn sie war ja noch nicht fertig vorsortiert.

Die Wohnung wurde gesäubert, wobei meine Mutter sich, trotz Osteoporose, versteifter Wirbelsäule und entgegen aller ärztlicherRatschläge, immer wieder bückte, und sie wurde aufgeräumt. Mein Vater brachte hierzu sämtliche, irgendwo herumliegenden, Werkzeuge, Bücher, Kästen und Kisten in das sogenannte 'kleine Zimmer', einen Raum, den die Zugehfrau niemals betreten durfte, schloss dann mit einem Schlüsselab und legte ihn in die Schublade der Kommode. Kam die Dame dann, war die Wohnung in einer gewissen Grundordnung. Ging sie, wurde aus dem 'kleinenZimmer' alles wieder heraus und an seinen vorherigen Ort geräumt.

Einmal hatten sich meine Eltern wegen eines Feiertags am Montag jedoch in den Wochentagen geirrt und waren beide noch im Schlafanzug und 'derangiert', als gegen 10 Uhr die Haushaltshilfe kam. Ich denke an diesem Tag hatte sie einmal richtig viel zu tun, gut bezahlt wurde sie ja von meinen Eltern ohnehin. Jedenfalls verloren beide Seiten kein Wort über die Wohnung im vorgefundenen Zustand. Und danach kam es auch zu keiner weiteren Verletzung der Grundordnung in der Wohnung einer Eltern. Niemals wieder. Denn seither schaute meine Mutter jeden Tag auf ihren Kalender und bereitete sich gut auf den kommenden Mittwoch vor.