Dienstag, 1. Juni 2010

Was haben wir da bloß angerichtet?

TV-Casting-Shows sind das mit Abstand erfolgreichste Format der frühen 2000er-Jahre, sie folgen immer dem gleichen Muster und das mittlerweile weltweit. Inzwischen werden aber nicht nur Sängerinnen und Sänger sondern Supermodels, Tänzer, Comedians, Musicalstars oder einfach Talente gecastet. Längst ist das Prinzip, schlecht beratene, beschränkt talentierte, von der Natur äußerlich vernachlässigte aber dafür mit Straßenjargon-Schnauzen ausgestattete Exemplare der Gattung 'Mensch' für irgend etwas, egal was, auszuwählen, auch in Indonesien, Kenia oder der Antarktis angekommen, während bei uns oder in anderen grossen TV-Nationen jedes Jahr bereits mehrere Casting-Shows gleichzeitig laufen müssen um den Bedarf der Zuschauer an Talent-Perversitäten zu befriedigen. Der Phantasie sind dabei keine Grenzen mehr gesetzt - Shows wie "Germanys next Adolf Hitler" oder "Fickerchen" sind mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in Planung. Und wenn sogar das dann nicht mehr so gut läuft, sucht man eben Ersatz für alternde Politiker, Sportler oder Moderatoren.

Dabei macht den Erfolg der Sendungen das darwinistische Konzept aus: der oder die Stärkste gewinnt. Und wir, das Publikum, dürfen ganz ungeniert Gott spielen, entscheiden über Gewinner und Verlierer, späteren Größenwahn oder eine Einweisung in die Nervenklinik nach erfolgtem Rausschmiss, Tod oder Überleben. Angetrieben von sprücheklopfenden Juroren feiern wir unsere Siege, ergötzen uns an dramatischen Zusammenbrüchen der Ausgeschiedenen, trinken deren Tränen. Wir sind das römische Pleps, die Zuschauer der Gladiatorenarena, zeigen mit dem Daumen hoch oder runter. Manchmal ist es auch unser Finger auf der Tastatur des Telefons oder Handys.

Dass wir uns dabei keine Gedanken machen müssen, über die Moral unseres Handeln, liegt daran, dass ja jeder Kandidat prinzipiell weiss, auf welch sadomasochistisches Spiel er resp. sie sich da einlässt. Und wenn sich, wie bereits geschehen, jemand vor Lampenfieber in die Hose macht, dann hält die Kamera voll drauf und keiner aus der Jury schützt den Kandidaten sondern es gibt immer Jurymitglieder, die zwar privat ihre eigenen Frauen schlagen, aber sich aus Ausgleich dazu in der Sendung über den verzweifelten Menschen vor dem Jurytisch lustig machen. Gut, nachher gibt es für die Demütigung eine Geldstrafe wegen eines Verstosses gegen das Jugendschutzgesetz, aber die zahlt ein Dieter Bohlen, der in jeder Show fernsehgerecht die Hemden seines Werbepartners wirksam vor der Kamara präsentiert, mit links.

Bohlen hat nämlich neben seinen eigenen Gagen für die Teilnahme an seinen Casting-Sendungen und den Werbeeinnahmen von Textil- und anderen Firmen, auch noch einen großen finanziellen Anteil an der Vermarktung der späteren Gewinner. Über seine Firmen liefert er nicht nur die erfolgreichen Songs für die jeweigen Shows, nein, er managt auch einzelne Karrieren der Gewinner vom Musikstil übers Video bis hin zur Garderobe. Ein Mensch wie er ist für solche Castings-Shows unverzichtbar, verfügt er doch über alle nötigen Kontakte in der Musik- und der TV-Branche und garantiert dem TV-Sender so, dank der Zusammenarbeit mit grossen Labels, für einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer längerfristige Erfolge mit Songverkäufen. Dieser Deal geht immer auf und ist ein Kompensationsgeschäft: der TV-Sender generiert die Popularität und bekommt dafür später Geld zurück aus den Plattenverkäufen.

"Ich finde Dich ja gar nicht so schlecht", pflegt einer wie Bohlen stets zu sagen um dann einen coolen Spruch aus der Feder eines Ghostwriters anzufügen, der den gerade zur Hinrichtung anstehenden Delinquenten gar nicht kennen konnte und deshalb so wieder persönlich aus dem Schneider ist. "Ich finde Dich ja gar nicht so schlecht...", sagt Bohlen "...als Figur in der Geisterbahn oder Brechmittel, wenn ich mal kotzen muss" und ist damit der Prototyp für andere. Heinde KLum quält ihre Kandidatinnen beim Model-Contest mit ... langen ... Pausen ... ... zwischen ... ihren Worten, bevor sie ... sagt ... "Ob ... Du ... weiterkommst ... erfährst Du ... ... ... gleich nach der Webung."

Und weil noch niemand etwas gegen solche Art der Volksverdummung unternimmt, wird uns dieser Casting-Spuk im Fernsehen mit Sicherheit auch noch eine ganze Weile erhalten bleiben. Trotz leicht rückläufiger Quoten mangelt es hierzulande weiterhin nicht an nützlichen Idioten, die berühmt werden wollen. Der Andrang, sich vor laufender Kamera für immer zum Affen zu machen, weil man doch sein "Bestes" gibt und jeder sehen kann, wie limitiert dieses "Beste" ist, hält unvermindert an. Wahrscheinlich sogar, wenn es darum geht, "Germanys next Adolf Hitler" zu werden.