Mittwoch, 28. Mai 2008

Umdenken

Man muss ja im täglichen Leben ständig umdenken
Wie sie vielleicht auch schon bemerkt haben
Da hatte mir doch meine Frau in jahrelanger Beständigkeit
Beigebracht, Besteck in einen Geschirrspüler so einzuräumen
Dass die Messer, Gabeln und Löffel mit dem Griff nach unten zeigen
Weil so die letzten Wassertropfen nach unten abperlen
Und da gibt es in der Küche unseres Büros seit neuestem eine Spülmaschine
In die alle Leute das Besteck genau anders herum einräumen
Ja, meine Besteckteile fallen sogar auf
Weil es die einzigen sind, die mit dem Griff nach unten liegen

Und neulich konnte ich hören, wie sich zwei Damen darüber unterhielten
Der Herr Sauer hat wieder einmal Fettbrot mit Grieben gegessen
Weil an seinem Messer Griebenreste kleben würden
„Also das ist doch wohl nicht zu viel verlangt
Wenn der das vorher mal kurz abspülen würde
Nachher ist dann unser ganzes Geschirr mit einem Schmalzfilm übersäht“
Jawoll, 'übersäht' sagte die Dame
„Also, das ist doch noch gar nichts“ sagte darauf die andere
Neulich hatte er Fisch zum Frühstück, das glaubt man nicht
Fisch zum Frühstück. So eine richtig fettige Makrele
Der ganze Geschirrspüler stank nach Fisch.“
„Und überhaupt: das ist doch auch gefährlich“ entgegnete ihr die erste
„Wenn man mal aus Versehen in ein Messer greift ...“
Worauf die andere „... skandalös ...“ sagte und nochmal „Skandalös!“
Dieses Mal aber mit Ausrufezeichen!
Ich habe mich danach ganz vorsichtig und leise
Wieder zurück ins Büro begeben
Um ja kein Aufsehen zu erregen

Um das nochmals klarzustellen:
Die Bestecke für die Kollegen habe ICH damals angeschafft
Modernes Design mit bordeauxrotem Griff
Alle benutzen das Besteck inzwischen
Obwohl es einige Tage im Frauengesprächskreis
Um das Thema ging: Was hat Herr Sauer uns Bestecke zu kaufen?
"Das wäre Aufgabe von denen da oben
Richten uns eine Küche ein und geben uns dann kein Besteck
Skandalös!!!" (... mit drei Ausrufezeichen)
Also an der Form meines Besteckes kann es nicht gelegen haben
Dass Vicky Holms und Dr. Melanie Watson so genau
Über meine Essgewohnheiten Bescheid wussten
Es lag nur daran, dass ich der einzige bin
Der sein Besteck ordnungsgemäß einräumt

Aber da ja schon Thomas Bernhard herausfand
Dass das Leben ein Prozess ist, den man verliert
Was man auch tut und wer man auch ist
Musste ich umdenken und lege seit ein paar Tagen
Mein Besteck mit dem Griff nach oben in den Geschirrspüler
Und habe seither keinerlei Beschwerden mehr bekommen
Aus dem Kollegenkreis im Büro ... zu hause schon
„Ist das denn zu fassen“ fragte sich meine Frau gestern
„Wer hat denn da das Besteck falsch herum eingeflyt?“
'Einflyen' kommt aus der Fliegerei
Wenn man sein Gepäck am Flughafen abgegeben hat
Dann hat man es 'eingeflyt' - Meine Frau redet beim Einräumen
Des Geschirrspülers immer vom 'einflyen'
Wahrscheinlich weil das der Aktion eine gewisse Bedeutung verleiht
„Wenn mir irgend jemand bitte erklären könnte
Was es bringt, das Besteck falsch rum in den Geschirrspüler zu legen?“
Fragte sie noch einmal laut und in meine Richtung
Ich aber wollte unseren Haussegen nicht gefährden
„Unser Haus ist unsre Welt - wir hoffen es gefällt.“
Der hängt bei uns über dem Türbalken
Und wenn er schief hängt, dann gibt es dafür Gründe
Die ich meiner Frau nicht liefern wollte
Also tat ich so, als hätte ich nichts gehört
Ich sagte ja: Man muss im täglichen Leben ständig umdenken.

Recht ./. Leben

Ein junger Mann erzählte in einer Talkshow zum Thema 'Justizirrtümer', wie eines Tages Polizisten vor seiner Tür standen und ihn fragten, ob sie sich mal bei ihm umsehen könne. Er wurde (wie sich erst viel später herausstellte) mit einer anderen Person verwechselt und, owohl man in seiner Wohnung nichts Verdächtiges fand, festgenommen. Es folgte eine Untersuchungshaft, während der nichts weiter untersucht wurde, und ein Prozess, in dem sein Pflichtverteidiger nichts weiter tat als seine Pflicht.

Der junge Mann wurde wegen eines Überfalls, den er nicht begangen hatte, zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt und blieb mehr als 18 Monate im Gefängnis, bis sich der wirkliche Täter bei der Polizei stellte, weil ihn dessen Freundin dazu gedrängt hatte. Sämtliche Kontrollmechanismen der Justiz versagten, und alles, das schief gehen konnte, ging für den Mann schief, bis hin zu einem Mordversuch an ihm, wegen dem zwei Mitgefangene zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Er habe sich nicht dem Knastleben angepasst, erzählten sie vor Gericht als Grund für den versuchten Mord.


Der junge Mann erzählte alles mit einer Ruhe, als hätte er gerade einen Zug verpasst. Sogar seine Freilassung hatte sich um einen Tag verzögert, weil die Sekretärin des Richters, der seine Freilassung verfügt hatte, gerade im Urlaub war. Niemand habe sich jemals bei ihm entschuldigt, sagte er. Als Haftentschädigung habe er knapp 5.500 Euro erhalten, damit war die Sache für die Justiz beendet und er durfte sein Leben neu aufbauen, denn seine Wohnung war inzwischen wegen Nicht-Zahlung der Miete gekündigt, sämtlicher Hausstand aufgelöst und entsorgt. Nichts, selbst das Intimste und Privateste, war ihm im Leben mehr geblieben.

"Das alles ist schrecklich, aber so ist nun einmal das Leben", kommentierte ein ehemaliger Richter am Landgericht, wobei er sich Mühe gab, die Not des unschuldig Verurteilten zu verstehen und fügte an: "Jeder kann sich mal irren." - Jawohl: Irren ist menschlich ... und hat oft unmenschliche Folgen.

Endlich mal eine Talkshow ohne Politikdarsteller und Laienschauspieler, ohne Sex und doppelte Moral, ohne Hartz IV Debatte und Vaterschaftstest. Dafür mitten aus dem Leben und zwar dem Leben, um das der junge Mann wie der Fernsehzuschauer betrogen wurde und wird.

Donnerstag, 15. Mai 2008

Zeitung lesen

»(...) Sagen Sie mal: Lesen Sie überhaupt? Was lesen Sie? Bücher, Kontostände, E-Mails?. Vielleicht gar Zeitung, wie die gebildeten Leut‘? Ich meine jetzt aber nicht, dass sie nach zwei Stunden noch die Schlagzeilen aufsagen können. Das ist zwar auch schon eine Leistung, aber nein. Haben Sie die Fähigkeit und Zähigkeit eine Zeitung zu LESEN, so wie man Trauben von einer Rebe liest und sie sich dann im Mund zergehen lässt?

Ich für meinen Teil lese Zeitung und, da können Sie machen was Sie wollen, ich mach das jetzt hier vor Ihnen. Ich habe hier für Sie die XXX-Zeitung vom xx.xx.xxxx*. Ja, ich bin ja gar nicht so. Hier her kommen, Text aufsagen, Gage mitnehmen und weg bin ich. Ich investiere auch etwas in die Region ... und sei es nur in eine Tageszeitung. Da steht nämlich immer wtas drin, was ich Ihnen vorlesen kann. Egal ob in Paderborn, Wertheim, Nordhorn, Wittenberg, Berchtesgaden oder wo ich sonst noch so zu Gast bin. Überall gibt es Zeitungen. Die sind nicht nur zum Einwickeln von Kohllrabi da, sondern zum Lesen. Weil man doch sagt: Die besten Geschichten schreibt das Leben. Und die finden Sie alle in Ihrer Zeitung. Schaun wir mal rein. Wollen wir zuerst mal sehen, wer wieder gestorben ist. Also nicht 'wer wieder gestorben ist', sondern wer gerade verstorben ist. Das sagt man einfach so, 'wieder gestorben' aber es stimmt ja nicht. Klingt allerdings wie 'wiedergeboren' und damit irgendwie harmlos. So wie ein Soldat, der gefallen ist. Wer gefallen ist, der kann ja gleich wieder aufstehen, auferstehen. So funktioniert das mit unserer deutschen Sprache. Oder nehmen wir mal feindliche Agenten, die werden ausgeschaltet, wie beim Licht. Das kann man sofort wieder anschalten. Ausschalten klingt doch wesentlich harmloser als, 006 wurde von einer Bombe zerfetzt; seine Einzelteile und Hautfetzen klebten am Tresen des Lokals, die Wände über und über mit seinem Blut bespritzt. Näää! Dann lieber: 006 wurde ausgeschaltet.


Also, wer ist denn jetzt gestorben? (...) Das waren sieben Sätze zwischen Leben und Tod. Genug für einen Film von zwei Stunden Länge und das alles erlebt man nur, wenn man Zeitung LIEST. Die richtige Zeitung. Aber das muss jeder selbst für sich entscheiden, was er liest. Von mir aus lesen Sie eben ‚Boulevard‘. Das ist für manchen einfacher. Fast Food Furunkel in Tittentunke. Sich sauggeile Blutekel holen, mitten ins Gehirn setzen und dabei hoffen, dass der geistige Aderlass einem gut tut und nicht zu abflauenden Gehirn-Windungen führt ... Anwesende natürlich ausgenommen, Verwesende sowieso. Weil Sie haben ja Intelligenz. Deswegen sind Sie ja schließlich hier bei mir.
(...)
«

('Zeitung lesen' ist - jeweils variiert - Kernbestandteil sämtlicher rWs-Programme seit 2001; den Einstieg bildet inzwischen ein Ausschitt des 'Wolfgang Neuss Monologs' aus Sauers Theaterstück 'Eichenlaub'/2002)

Donnerstag, 8. Mai 2008

Vom Humor und seine drei verschiedenen Eigenschaften

Sorgen erlauben nur, dass man in ihnen aufgeht.” Das schrieb im Jahre 1880 Arthur Rimbeaud, ein faszinierender Mensch, der in einem frühen Abschnitt seines Lebens unbe(o)achtet Literatur par excellence zu Papier brachte, bevor er dazu überging auf selbigem die Geschäftsentwicklung seines neuen Arbeitsgebietes aufzuzeichnen: Des Sklavenhandels.


Rimbeaud hatte mit seinen wenigen Werken einen unfassbaren Einfluss auf die kommende Französische Literatur des 20. Jahrhunderts und nach folgend des Humors ganz Europas. Und dabei versuchte er in dieser Lebensphase nur, sich selbst zu verteidigen, wobei ihm seine Umwelt die Waffen selbst lieferte. In Rimbeaud vereint sich die Dreifaltigkeit des Humors: Der Reine, der Schwarze und der Galgenhumor.


Damit ist auch klar: Spaßmacher ist nicht gleich Humormacher. Einer der populärsten Spaßmacher im Deutschland im ausgehenden 20. Jahrhundert, Otto Waalkes, hat es in seinem Leben, lediglich ein oder vielleicht zwei Mal geschafft, diese Dreifaltigkeit zu erlangen, zum Beispiel wenn er sinniert: “Tumor ist, wenn man trotzdem lacht”. Der ‘Spaßmacher als Ernstmacher’, wie ihn Robert Gernhardt (zuvor Schiffsjunge auf der Titanic und dann einer von Ottos Leibschneidern) nannte, ist einer der Repräsentanten des Humors. Humor ist eben in seiner Dreifaltigkeit nicht mit dem Witz an sich, der Comedy oder mit Aktionen wie “Wir machen doch nur Spaß” zu verwechseln. Dies ist der Grund, warum Stefan Raab, der Erfinder des letztgenannten Satzes, niemals Humor hat/te, Gerd Knebel und Henning Nachtsheim, bekannt als das Duo “Badesalz” dagegen als Humoristen anerkannt sind. Auch Gernhardt hat Humor und auch ihm gelingt es gelegentlich in einem einzigen Gedanken alle drei Ebenen des Humors zu erreichen: “In meinem Kopf herrscht Ebbe, in meinem Herzen Flut.”


Wie schon angedeutet, besitzen große Schriftsteller durchaus die Fähigkeit in Punkto Humor gezielte Punktlandungen zu schaffen. Franz Kafka ist so einer; fast ist man geneigt anzunehmen, das Erschrecken sei bei ihm lediglich Fassade für permanenten Galgenhumor. Ob in der Beschreibung eines Kätzchens (“Eine Kreuzung”) oder im Fanal der Machtlosigkeit (“Die Brücke”), weniger in “Der Prozess” und mehr im der “Verwandlung“.


Ein anderer Mensch, dem man Humor augenblicklich unterstellen muss, wenn man seinen Lebenslauf liest (erst Pastor, dann Mathematiker, Schriftsteller natürlich und schlussendlich ein brillanter Logiker), ist der ‘gute Onkel’ Lewis Carroll, der seine Vorliebe für kleine Mädchen selbst nie bestritten hat. Aus solch einem Lebenslauf kann nur Non-Sens werden und zwar solcher mit der richtigen Prise Humor: “Alice im Wunderland“ und „...hinter den Spiegeln” zeigen puren reinen Humor und “Die Jagd nach dem Schnarck” sowie die “Briefe an kleine Mädchen” waren richtungsweisende humoristische Meisterwerke.


In Jonathan Swift scheint sich aber der Urvater des schwarzen Humors gefunden zu haben. Es war der Engländer, der in der Absurdität von “Gullivers Reisen” seinen Lesern gleichwertig den reinen und den Galgenhumor präsentiert. Und es geschieht bei Swift nicht als Einzelfall, wie bereits die Titel einiger anderer seiner Werke belegen: “Meditation über einen Besenstil” etwa oder sein “Bescheidener Vorschlag, wie die Kinder armer Leute in Irland davor bewahrt werden sollen, ihren Eltern oder dem Staat zur Last zu fallen, und wie sie dem Gemeinwesen zum Nutzen gereichen können”. In letzterem beschreibt Swift die Verarbeitung von Kleinkindern u. a. zu Frikassee und anderen Delikatessen. Hinzu kommt, dass seine bereits 1756 in Deutschland gedruckten “...satyrischen und ernsthaften Schriften...” ein übriges zur Popularisierung des Humors in unseren Landen geleistet haben. Kein Zweifel: Swift ist die der Erfinder allen Humors - mehr oder weniger.


Der große deutsche Satiriker des 20. Jahrhunderts, Hanns Dieter Hüsch, war ebenfalls jemand, der die Inspiration zu seinen Werken aus der Umwelt auffing und die Dreifaltigkeit des Humors mit einem einzigen Werktitel erreichte: “Und sie bewegt mich doch”! Hüschs Eskapaden sind unzählig und reichen von “Das schwarze Schaf vom Niederrhein” über Hagenbuchs Zugaben (als deren Szenario er eigens ein Sanatorium in Bless-Hohenstein erfand, eine -wie Hüsch sie nannte- “...Anstalt für Kopfgeschichten...”) bis hin zu seinen unzähligen Tonaufnahmen. Gesegnet mit einem langen, schaffensreichen Leben verfeinerte er wie kaum ein anderer den tiefsinnigen Humor im deutschsprachigen Raum zu einem Genuss der nachdenklichen Art - zur Art des nachdenklichen Genusses.


Am Schluss des Examples über die Dreifaltigkeit des Humors darf man die bildenden Künstler nicht verschweigen, Auch Universalkünstler, dies stellt man schnell mit Interesse fest, besitzen die Qualität sich den höchsten Stufen des Humors anzunähern. Salvador Dalí war so einer mit seinen Texten aus den 1930er Jahren und vor allem mit seinem Spätwerk, dem Opera-Poem “Etre Dieux”. Aber auch sein Konkurrent Pablo Picasso gehört dazu. Und auch er war -nur wenigen ist es bekannt- eine kurze Zeit lang Schriftsteller mit dem Hang zum Humor, wenn er der Welt z. B. in “Gedichte” Schachtelsätze von mehr als 100 Worten schenkte, bei denen er es strikt vermied, auch nur einen einzigen Reim zu verwenden.


Es sind die Überempfindlichen, die Ruhelosen mit wachem Gewissen, die ihr Denken in die Lockform des schwarzen Humors gebracht haben. Den Galgenhumor stellen vor allem die, angesichts unserer Welt in Melancholie versinkenden, Optimisten unter Bewies. Und die - oft bis ins hohe Alter - Kind gebliebenen sind es, denen wir den reinen Humor verdanken.


Fast scheint es heute dem einzelnen Menschen unmöglich, auch nur eine einzige Qualität der Dreifaltigkeit des Humors zu erlangen. Aber wenn man sich das tägliche Leben betrachtet, so verwischen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, intuitiv vermischen sich die Quellen und so entsteht trotz alledem immer wieder neu ein wohlschmeckendes Getränk, erfrischend und gleichsam Durst löschend wie weiteren Durst erzeugend: Man nennt es gemeinhin „Humor“.


(Essay aus: 'Die Korrektur der Sicht-Waisen'/2003)

Schamferne Zeiten

(HINWEIS: Dieser Eintrag ist noch in Bearbeitung des Künstlers und wurde noch daher noch nicht freigeschaltet!)

Von Musen und Museen

(HINWEIS: Dieser Eintrag ist noch in Bearbeitung des Künstlers und wurde noch daher noch nicht freigeschaltet!)