Donnerstag, 8. Mai 2008

Vom Humor und seine drei verschiedenen Eigenschaften

Sorgen erlauben nur, dass man in ihnen aufgeht.” Das schrieb im Jahre 1880 Arthur Rimbeaud, ein faszinierender Mensch, der in einem frühen Abschnitt seines Lebens unbe(o)achtet Literatur par excellence zu Papier brachte, bevor er dazu überging auf selbigem die Geschäftsentwicklung seines neuen Arbeitsgebietes aufzuzeichnen: Des Sklavenhandels.


Rimbeaud hatte mit seinen wenigen Werken einen unfassbaren Einfluss auf die kommende Französische Literatur des 20. Jahrhunderts und nach folgend des Humors ganz Europas. Und dabei versuchte er in dieser Lebensphase nur, sich selbst zu verteidigen, wobei ihm seine Umwelt die Waffen selbst lieferte. In Rimbeaud vereint sich die Dreifaltigkeit des Humors: Der Reine, der Schwarze und der Galgenhumor.


Damit ist auch klar: Spaßmacher ist nicht gleich Humormacher. Einer der populärsten Spaßmacher im Deutschland im ausgehenden 20. Jahrhundert, Otto Waalkes, hat es in seinem Leben, lediglich ein oder vielleicht zwei Mal geschafft, diese Dreifaltigkeit zu erlangen, zum Beispiel wenn er sinniert: “Tumor ist, wenn man trotzdem lacht”. Der ‘Spaßmacher als Ernstmacher’, wie ihn Robert Gernhardt (zuvor Schiffsjunge auf der Titanic und dann einer von Ottos Leibschneidern) nannte, ist einer der Repräsentanten des Humors. Humor ist eben in seiner Dreifaltigkeit nicht mit dem Witz an sich, der Comedy oder mit Aktionen wie “Wir machen doch nur Spaß” zu verwechseln. Dies ist der Grund, warum Stefan Raab, der Erfinder des letztgenannten Satzes, niemals Humor hat/te, Gerd Knebel und Henning Nachtsheim, bekannt als das Duo “Badesalz” dagegen als Humoristen anerkannt sind. Auch Gernhardt hat Humor und auch ihm gelingt es gelegentlich in einem einzigen Gedanken alle drei Ebenen des Humors zu erreichen: “In meinem Kopf herrscht Ebbe, in meinem Herzen Flut.”


Wie schon angedeutet, besitzen große Schriftsteller durchaus die Fähigkeit in Punkto Humor gezielte Punktlandungen zu schaffen. Franz Kafka ist so einer; fast ist man geneigt anzunehmen, das Erschrecken sei bei ihm lediglich Fassade für permanenten Galgenhumor. Ob in der Beschreibung eines Kätzchens (“Eine Kreuzung”) oder im Fanal der Machtlosigkeit (“Die Brücke”), weniger in “Der Prozess” und mehr im der “Verwandlung“.


Ein anderer Mensch, dem man Humor augenblicklich unterstellen muss, wenn man seinen Lebenslauf liest (erst Pastor, dann Mathematiker, Schriftsteller natürlich und schlussendlich ein brillanter Logiker), ist der ‘gute Onkel’ Lewis Carroll, der seine Vorliebe für kleine Mädchen selbst nie bestritten hat. Aus solch einem Lebenslauf kann nur Non-Sens werden und zwar solcher mit der richtigen Prise Humor: “Alice im Wunderland“ und „...hinter den Spiegeln” zeigen puren reinen Humor und “Die Jagd nach dem Schnarck” sowie die “Briefe an kleine Mädchen” waren richtungsweisende humoristische Meisterwerke.


In Jonathan Swift scheint sich aber der Urvater des schwarzen Humors gefunden zu haben. Es war der Engländer, der in der Absurdität von “Gullivers Reisen” seinen Lesern gleichwertig den reinen und den Galgenhumor präsentiert. Und es geschieht bei Swift nicht als Einzelfall, wie bereits die Titel einiger anderer seiner Werke belegen: “Meditation über einen Besenstil” etwa oder sein “Bescheidener Vorschlag, wie die Kinder armer Leute in Irland davor bewahrt werden sollen, ihren Eltern oder dem Staat zur Last zu fallen, und wie sie dem Gemeinwesen zum Nutzen gereichen können”. In letzterem beschreibt Swift die Verarbeitung von Kleinkindern u. a. zu Frikassee und anderen Delikatessen. Hinzu kommt, dass seine bereits 1756 in Deutschland gedruckten “...satyrischen und ernsthaften Schriften...” ein übriges zur Popularisierung des Humors in unseren Landen geleistet haben. Kein Zweifel: Swift ist die der Erfinder allen Humors - mehr oder weniger.


Der große deutsche Satiriker des 20. Jahrhunderts, Hanns Dieter Hüsch, war ebenfalls jemand, der die Inspiration zu seinen Werken aus der Umwelt auffing und die Dreifaltigkeit des Humors mit einem einzigen Werktitel erreichte: “Und sie bewegt mich doch”! Hüschs Eskapaden sind unzählig und reichen von “Das schwarze Schaf vom Niederrhein” über Hagenbuchs Zugaben (als deren Szenario er eigens ein Sanatorium in Bless-Hohenstein erfand, eine -wie Hüsch sie nannte- “...Anstalt für Kopfgeschichten...”) bis hin zu seinen unzähligen Tonaufnahmen. Gesegnet mit einem langen, schaffensreichen Leben verfeinerte er wie kaum ein anderer den tiefsinnigen Humor im deutschsprachigen Raum zu einem Genuss der nachdenklichen Art - zur Art des nachdenklichen Genusses.


Am Schluss des Examples über die Dreifaltigkeit des Humors darf man die bildenden Künstler nicht verschweigen, Auch Universalkünstler, dies stellt man schnell mit Interesse fest, besitzen die Qualität sich den höchsten Stufen des Humors anzunähern. Salvador Dalí war so einer mit seinen Texten aus den 1930er Jahren und vor allem mit seinem Spätwerk, dem Opera-Poem “Etre Dieux”. Aber auch sein Konkurrent Pablo Picasso gehört dazu. Und auch er war -nur wenigen ist es bekannt- eine kurze Zeit lang Schriftsteller mit dem Hang zum Humor, wenn er der Welt z. B. in “Gedichte” Schachtelsätze von mehr als 100 Worten schenkte, bei denen er es strikt vermied, auch nur einen einzigen Reim zu verwenden.


Es sind die Überempfindlichen, die Ruhelosen mit wachem Gewissen, die ihr Denken in die Lockform des schwarzen Humors gebracht haben. Den Galgenhumor stellen vor allem die, angesichts unserer Welt in Melancholie versinkenden, Optimisten unter Bewies. Und die - oft bis ins hohe Alter - Kind gebliebenen sind es, denen wir den reinen Humor verdanken.


Fast scheint es heute dem einzelnen Menschen unmöglich, auch nur eine einzige Qualität der Dreifaltigkeit des Humors zu erlangen. Aber wenn man sich das tägliche Leben betrachtet, so verwischen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, intuitiv vermischen sich die Quellen und so entsteht trotz alledem immer wieder neu ein wohlschmeckendes Getränk, erfrischend und gleichsam Durst löschend wie weiteren Durst erzeugend: Man nennt es gemeinhin „Humor“.


(Essay aus: 'Die Korrektur der Sicht-Waisen'/2003)

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