»(...) Sagen Sie mal: Lesen Sie überhaupt? Was lesen Sie? Bücher, Kontostände, E-Mails?. Vielleicht gar Zeitung, wie die gebildeten Leut‘? Ich meine jetzt aber nicht, dass sie nach zwei Stunden noch die Schlagzeilen aufsagen können. Das ist zwar auch schon eine Leistung, aber nein. Haben Sie die Fähigkeit und Zähigkeit eine Zeitung zu LESEN, so wie man Trauben von einer Rebe liest und sie sich dann im Mund zergehen lässt?
Ich für meinen Teil lese Zeitung und, da können Sie machen was Sie wollen, ich mach das jetzt hier vor Ihnen. Ich habe hier für Sie die XXX-Zeitung vom xx.xx.xxxx*. Ja, ich bin ja gar nicht so. Hier her kommen, Text aufsagen, Gage mitnehmen und weg bin ich. Ich investiere auch etwas in die Region ... und sei es nur in eine Tageszeitung. Da steht nämlich immer wtas drin, was ich Ihnen vorlesen kann. Egal ob in Paderborn, Wertheim, Nordhorn, Wittenberg, Berchtesgaden oder wo ich sonst noch so zu Gast bin. Überall gibt es Zeitungen. Die sind nicht nur zum Einwickeln von Kohllrabi da, sondern zum Lesen. Weil man doch sagt: Die besten Geschichten schreibt das Leben. Und die finden Sie alle in Ihrer Zeitung. Schaun wir mal rein. Wollen wir zuerst mal sehen, wer wieder gestorben ist. Also nicht 'wer wieder gestorben ist', sondern wer gerade verstorben ist. Das sagt man einfach so, 'wieder gestorben' aber es stimmt ja nicht. Klingt allerdings wie 'wiedergeboren' und damit irgendwie harmlos. So wie ein Soldat, der gefallen ist. Wer gefallen ist, der kann ja gleich wieder aufstehen, auferstehen. So funktioniert das mit unserer deutschen Sprache. Oder nehmen wir mal feindliche Agenten, die werden ausgeschaltet, wie beim Licht. Das kann man sofort wieder anschalten. Ausschalten klingt doch wesentlich harmloser als, 006 wurde von einer Bombe zerfetzt; seine Einzelteile und Hautfetzen klebten am Tresen des Lokals, die Wände über und über mit seinem Blut bespritzt. Näää! Dann lieber: 006 wurde ausgeschaltet.
Also, wer ist denn jetzt gestorben? (...) Das waren sieben Sätze zwischen Leben und Tod. Genug für einen Film von zwei Stunden Länge und das alles erlebt man nur, wenn man Zeitung LIEST. Die richtige Zeitung. Aber das muss jeder selbst für sich entscheiden, was er liest. Von mir aus lesen Sie eben ‚Boulevard‘. Das ist für manchen einfacher. Fast Food Furunkel in Tittentunke. Sich sauggeile Blutekel holen, mitten ins Gehirn setzen und dabei hoffen, dass der geistige Aderlass einem gut tut und nicht zu abflauenden Gehirn-Windungen führt ... Anwesende natürlich ausgenommen, Verwesende sowieso. Weil Sie haben ja Intelligenz. Deswegen sind Sie ja schließlich hier bei mir. (...)«
('Zeitung lesen' ist - jeweils variiert - Kernbestandteil sämtlicher rWs-Programme seit 2001; den Einstieg bildet inzwischen ein Ausschitt des 'Wolfgang Neuss Monologs' aus Sauers Theaterstück 'Eichenlaub'/2002)
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