(ispiriert durch THE GIFT von John Cale / 1968)
Walter Jenzig hatte genug. Walter Jenzig hatte wirklich genug. Vor allem, davon dass er nun schon mehr als zwei Monate von seiner Janka getrennt war. Alles, was er in dieser Zeit von ihr mitbekommen hatte, waren zwei eher belanglose Briefe und ein kostspieliges Telefonat nach Ungarn, wohin sie nach dem Beginn der Semesterferien zurück gereist war, und in welchem er mit ihrer Schwester gesprochen hatte, die vorgab, Janka suchen zu wollen und den Hörer einfach ablegte, während Walters linkes Ohr die ganze weitere Zeit über am Telefonhörer festkleben blieb, während seine rechte Hand immer wieder Münzen in den Fernsprecher nachwarf, nur um nicht zu versäumen, wenn Janka endlich mit ihm sprechen würde. Nach fast anderthalb Stunden hatte er aber nur wieder Jankas Schwester an Telefon, mit einer Stimme, die Jankas verdächtig ähnlich war, und die sagte ihm, Janka wäre nach Logoj gefahren und käme erst morgen wieder zurück. Danach hatte Walter kein Geld mehr um ein weiteres Mal nach Ungarn zu telefonieren.
Janka und Walter waren sich während des letzten Semesters näher gekommen. Einmal sogar waren sie sich ganz nah gekommen und Walters Gedanken kreisten seither immer und ständig um diese eine Nacht. Zwar hatte Janka Walter zum Abschied geschworen, ihm die Treue zu halten und er war danach voller Hoffnung, dass beide sich - unsterblich verliebt - Woche für Woche einen heißen Liebesbrief schreiben würden. Mindestens einen.
Er hatte sich an die Vorgabe gehalten und Janka mit regelmäßigen Liebesschwüren eingedeckt. Aber von ihrer Seite waren es nur diese zwei kurzen Schreiben gewesen, in denen sie ihm mitteilte, er solle sich keine Sorgen machen und ihrer Familie ginge es gut, bis auf Hund Nandor, der sich seinen Schwanz in der Hoftür so schlimm eingeklemmt hatte, dass man ihm den Schwanz habe amputieren müssen. Walter dachte immer, dass sich Liebesbriefe anders anhören müssten.
Deshalb hatte er vor einiger Zeit angefangen, sich um beider Beziehung ernsthaft Sorgen zu machen. Abends hatte er große Mühe einzuschlafen und wenn er es dann schaffte, überfielen ihn schreckliche Träume. In denen sah er Janka und was sie so alles machte. Ein Traum war dabei immer gleich. In einem Nachtclub in Lugoj wurden Jankas Liebesbeteuerungen ihm gegenüber von billigem Schaumwein weggespült, den ihr irgendein Neandertaler spendiert hatte, der im übrigen seinem Freund Peter zum Verwechseln ähnlich sah. Als der Schaumwein Wirkung zeigte, kam es zu Liebkosungen und später zu sexuellen Ausschweifungen. Das war mehr, als sein Verstand auszuhalten bereit war und Walter wachte an dieser Stelle stets schweißgebadet auf. - Gut, dachte er, es ist nur ein Traum. Durfte er ihr allein wegen eines Traumes mißtrauen?
Auch tags durchdrangen Walter immer öfter Phantasien von Jankas Eskapaden ohne ihn. Die Sache war doch auch, dass kein Mensch auch nur annähernd so gut wie er verstand, wie Janka wirklich war. Er, Walter, allein hatte in den wenigen Monaten ihrer beider Beziehung intuitiv jeden Quadratmilimeter von Jankas Psyche erfasst, und - was besonders war - nur er konnte sie immer zu Lachen bringen. Walter Jenzig spürte, dass Janka ihn gerade dringend brauchte und er konnte nicht bei ihr sein.
Die rettende Idee kam ihm an einem Mittwoch. Er hatte gerade Professor Petermanns Rasen für zwei Mark fünfzig gemäht und vertikutiert und nach seiner Rückkehr in die Mittelstraße, wo Walter eine kleine Wohnung hatte, wie immer sofort in seinen Briefkasten geschaut, um zu sehen, ob etwas von Janka angekommen war. Aber im Briefkasten war nichts außer einem Schreiben der Post, dass er am Engelplatz ein Paket abholen könne, das ihm wahrscheinlich wieder seine Mutter geschickt hatte und in dem bestimmt Handtücher und Strümpfe waren. Handtücher und Strümpfe braucht der Mensch, damit er gut studieren kann, hatte seine Mutter ihm mehr als einmal gesagt und ihren Worten ließ sie stets Pakete folgen. Zumindest interessierte die sich genug für ihn, um ihm regelmäßig einen Brief zu schreiben oder ein Paket zu schicken.
Natürlich würde auch Walter an Janka Pakete schicken, wenn die ihm gesagt hätte, dass man in Ungarn ohne Handtücher und Strümpfe nicht mehr würde leben können; das war doch selbstverständlich - keine Frage. Aber so etwas hatte sie ihm nicht aufgetragen und deshalb schickte er nur Briefe an sie. Da hatte Walter Jenzig plötzlich einen Geistesblitz. Genau, dachte er, das wäre es doch!!! - Und das wurde es dann auch.
Walter hatte nämlich nicht genügend Geld um mit der Bahn zu Janka zu reisen. Weshalb verschickte er dann sich nicht einfach selbst nach Ungarn? Es war ebenso absurd wie einfach. Er würde sich als ganz spezielle Stückgutlieferung versenden, preiswert mit dem Zug nach Ungarn gefahren und sogar noch direkt bei ihr zuhause abgeliefert werden und Janka würde vielleicht staunen.
Am nächsten Tag ging Walter los, um die notwendige Ausrüstung für die Realisierung seines kühnen Plans zu kaufen. Er erwarb eine Holzkiste, gerade richtig für eine Person seiner Statur, eine Taschenlampe und Pappe, Batterien und eine Schachtel mit Nägeln und er organisierte sogar schnell einige alte Kissen, mit denen er die Holzkiste auspolstern konnte. Walter überlegte sich, was er als Minimum an Komfort und Bequemlichkeit für seine Reise einplanen musste. Einige Luftlöcher in der Pappe vor den Schlitzen der Holzkiste, einige Flaschen Trinkwasser, selbstverständlich auch etwas zu essen. Und er dachte, dass es ihm auf der Reise vermutlich kaum anders ergehen würde, als anderen Zugreisenden, außer vielleicht, dass er in einer dunklen Kiste saß, während die aus dem Fenster gucken konnten.
Samstag Morgen war es dann soweit. Walter packte sich umfassend ein, verriegelte und vernagelte die Kiste von innen sehr fest und um kurz nach zwei kamen seine Freunde, denen er erzählt hatte, er wolle Janka etwas ganz Tolles schicken, aber nun sei seine Mutter erkrankt und er müsse dringend hin, ob sie vielleicht für ihn die Kiste zum Bahnhof? Sie konnten und schleppten nun das große Paket zu einem Lastwagen, der es zum Saalbahnhof brachte und dort ablud.
Die Kiste hatte Walter zuvor ordentlich angemeldet und den Transport bezahlt, hatte sie vorsichtshalber mehrmals als 'Zerbrechlich' gekennzeichnet und während er zusammengekauert inmitten der Kissenpolster saß und ausreichend Luft bekam, versuchte er sich den Blick von Überraschung und Glück auf Jankas Gesicht vorzustellen, während sie ihre Tür öffnete, die Kiste sah, den Lieferanten ein Trinkgeld gab, die Kiste öffnete um schließlich ihren erschöpften aber glücklichen Walter in Persona vorzufinden.
Sie würde ihn zuerst küssen und dann ganz nah an sich herandrücken, so dass ihm Jankas Brüste vielleicht den Atem rauben würden und und möglicherweise würden sie sich dann gemeinsam einen Film ansehen, bevor sie zu Bett gingen. Warum nur, ging es Walter durch den Kopf, habe ich nicht eher daran gedacht, auf diese Weise nach Ungarn zu reisen?
Während er nahezu problemlos in einem Eisenbahnwaggon nach Ungarn chauffiert wurde, niemand vom Inhalt Notiz nahm, seine Kiste deshalb ohne größere Probleme die Grenzen passierte und schon am Montag Morgen im Bahnhof von Lugoj eintraf, hatte Janka Szabo gerade ihr Haar fertig frisiert. Es war ein hartes Wochenende gewesen und sie musste sich zusammennehmen, um nicht schon allein beim Gedanken daran das Erlebte mit Wein oder härteren Spirituosen herunter zu spülen.
Auch Zoltan war hart gewesen. Nachdem es vorüber war, hatte Zoltan ihr gesagt, dass er sie und ihr „nein“ sehr wohl respektiere, aber - nach allem - es wäre zweifellos der Ruf der Natur gewesen und ein Mann könne sich gegen den Ruf der Natur nicht wehren. Und, hatte Janka ihn gefragt, wie geht es mit uns weiter? Da hatte Zoltan ganz kalt zu ihr gesagt: nein, er liebe sie nicht, wenngleich er davon ausgegangen sei, dass er in den letzten Wochen eine gewisse Neigung für sie entwickelt habe. Aber schließlich seien sie beide doch erwachsen genug um zu erkennen ...
Oh, dachte Janka, was könnte Walter Zoltan doch noch so alles beibringen in Bezug auf Anstand und Ehre. Aber erstens durfte Walter von Zoltan nichts erfahren und zweitens schien ihr diese Zeit schon Jahre her zu sein.
(Ende des ersten Teils. Die FORTSETZUNG folgt in Tel 2)
Dienstag, 19. Juli 2011
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