Dienstag, 25. März 2008

Der' Wolfgang Neuss Monolog'

[Auf dem vorderen Teil der Bühne sieht man Wolfgang Neuss; er hat eine Pauke in der Hand, die eine Maschine ist und wie ein überdimensionales Zahlenschloss aussieht, nur mit dem Unterschied, dass es anstatt von Zahlen drei Buchstaben hat. Wolfgang Neuss bewegt sich immer im Vordergrund der Bühne, nimmt von den Anderen absolut keine Kenntnis.]

NEUSS: Ein Rätsel: ‚Er lebt im Wald und geht ab und an in die Stadt. Dort ist er als großer Verführer bekannt; ein trug- und listenreiches Tier. Den Lebenden gegenüber stellt er sich tot, bis er sie in seinen Rachen bekommt und verschlingen kann.‘ Na, wissen Sie’s? Wissen Sie’s? Na!

(Neuss schaut sich um. Wird dann böse in seiner Stimme.)

Also, ich könnte gerade mal verrückt werden. Da gibt es Sterbliche, die treffen auf Gott und sie könnten ihn alles fragen und was fragen die...Na?...Was, das wissen Sie auch nicht? Was wissen Sie den überhaupt. Also - das ganze nochmal von vorn: Da gibt es Sterbliche, die treffen auf Gott und sie könnten ihn alles fragen und die sagen: ‚Haste mal Feuer?‘. Jawoll, das machen die.

(Die Stimme wird sanfter.)

Obwohl, tiefenpsychologisch betrachtet ist das interessanterweise ja die Frage schlechthin an Götter: ‚Haste mal Feuer?‘ Brecht/Weil wir gerade beim Thema sind. Haben Sie vielleicht einmal Feuer für mich...wie? ...na klar sind wir beim Theater und da darf man nicht rauchen, weil wir sind ja in Deutschland und da ist alles geregelt. Als wenn schon jemals ein Theater abgebrannt wäre, weil ich geraucht habe. Außerdem darf ich dass, wissen Sie. Ich bin doch schon tot und da helfen auch keine guten Sprüche auf den Zigarettenpäckchen.

Ich bin das Genie und der Wahnsinn - Asbach uralt! In mir wohnt der Geist des Weines. Also, meine Damen und Herren: Dies ist mein Maschinchen. Ja, das kann alles. Seit meinem Tode bastele ich daran herum. Zum Beispiel hier. Ich drehe (er dreht die Buchstaben) und was hab ich: (er zeigt die Pauke zum Publikum) A-R-D. Ein kleiner Dreh (er dreht erneut) und wir haben die B-R-D. Noch ein, zwei Drehs (er dreht) und es ist der C-S-D. Eins vor und eins zurück und wir haben B-S-E. Eins zurück und eins vor und daraus wird die C-S-U oder R-O-M oder T-O-D. Drei Buchstaben sind es, die in Deutschland einen Sinn ergeben. Mit drei Buchstaben kann man bei uns die tollsten Dinger drehen. Schauen Sie immer genau hin, wenn Sie drei Buchstaben sehen. Ich verspreche Ihnen: Es lohnt sich!

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass es in diesem Stück außer mir keinen einzigen Raucher gibt. Ich bin der Quotenraucher. Ist Ihnen des weiteren aufgefallen, dass es im Stück Leute gibt, die gar nicht so sind, wie sie scheinen. Lustig zum Beispiel ist eigentlich gar nicht Lustig. Wer er in Wirklichkeit ist, das wissen wir doch schon lange. Der Tod. Jawoll, der Tod, meine Damen und Herren. Und warum ich das weiß? Blöde Frage: Der Tod ist niemals Lustig. Und dann dieser Nachname. (Neuss dehnt das Wort...) Luuussstiiiigg. Klingt ein bisschen wie Juuussstiiiizz. Könnte aber auch jemand sein, der jüdischen Abstammung ist. Aaron Lustig oder so. Daran sieht man, dass man heutzutage niemandem trauen kann. Generell. Meine Damen und Herren: Verlieren Sie Ihre Unschuld und Sie bekommen etwas dafür, dass können Sie sich für Geld nicht kaufen, denn das kann sich heutzutage fast niemand leisten: Gesundes Misstrauen!

Seien Sie vorsichtig, wenn Sie in der Stadt Ihres Vertrauens Wahlplakate sehen, mit Gesichtern, die das sympathische Lächeln einer Weinbergschnecke mit dem Innovationsgehalt einer Schachtel Weinbrandbohnen verfeinern. WIR, so suggerieren diese Flachköpfe bekleistert, WIR sind DAS VOLK. Womit sie sogar Recht haben, denn normale Menschen kommen gar nicht in den Genuss eines staatlich subventionierten Vierfarbportraits im Format 800 x 1000. Nur plebejisch intellektuelle Wollmilchsäue haben den Eignungstest bestanden um volkstümelnd über uns zu stehen oder trefflicher ausgedrückt: herumzuhängen.

Na gut, es gibt heutzutage auch durchaus noch geniale Politik. Das Fluten der Havelpolder hat zum Beispiel das Elbehochwasser um 5 % gesenkt und die Sozialdemokraten um 5 % gehoben. Viel Leid ist den Menschen dadurch erspart geblieben.

Aber den Politikern muss man sagen: ‚Das Spiel ist aus.‘ - Das Spiel ist natürlich nicht aus und es ist schon gar kein Spiel. Ich muss das hier aber sagen. Also - nochmal von vorn: Das Spiel ist aus. Der Lack ist ab, wir haben an der Fassade gekratzt und der Dreck brennt uns unter unseren Nägeln. Zu allem Überfluß in unserer Gesellschaft verliert der Deutsche Wald jetzt auch noch seine Blätter. (Er bückt sich und hebt einige Blätter auf und nickt!) Das hatte ich mir gedacht: Eichenlaub! Und wir denken sogar noch, wir hätten und das Eichenlaub verdient, heben es auf und verleihen es uns als etwas Besonderes. Denn es verleiht auch uns etwas besonderes: Wir sind als einziges Volk dieser Erde auf alle Zeiten hinaus korrekt geeicht!

So meine Lieben. Das was Sie heute gesehen haben, war ein Stück Deutsches Theater. - Das war natürlich kein Stück rein Deutsches Theater. Ich muss das hier aber sagen. Also - nochmal von vorn: Dies war ein Stück Deutsches Theater. Deshalb war alles was darin vorkam die Wahrheit und zwar die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit über die Zerbrechlichkeit moralischer Ordnung in der Deutschen Gesellschaft zu Beginn des XXI. Jahrhunderts ... mann, was weiß ich schon über das XXI. Jahrhundert? Ich bin im XX. gestorben. Davon verstehe ich was. Deshalb bin ich hier. Ich bin tot und ich weiss alles darüber und ich bin nicht Lustig und das ist gut so.

„Ein schöner Mord, ein echter Mord, ein guter Mord. So schön, als man ihn nur verlangen tun kann. Wir haben schon lange so keinen gehabt.“ (Sprechpause. Neuss schaut fragend ins Publikum.) ‚Woyzeck‘, Schlußsequenz. Wurde erst ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des Autors in seinem Nachlass erlesen und entdeckt

Sagen Sie mal: Lesen Sie überhaupt? Was lesen Sie? Bücher, Kontostände, Emails?. Vielleicht gar Zeitung, wie die gebildeten Leut‘?. Ich meine jetzt nicht, dass sie nach zwei Stunden noch die Schlagzeilen aufsagen können. Das ist zwar auch schon eine Leistung. Nein. Haben Sie die Fähigkeit und Zähigkeit eine Zeitung zu lesen, wie man Trauben von einer Rebe liest und sie dann im Mund zergehen lässt?

Ich LESE Zeitung. Und ab und zu spucke ich die Kerne aus und schaue sie mir an. Man sagt doch, dass das Leben die besten Geschichten schreibt. Leute, DAS STIMMT. Hier zum Beispiel: „...Ein verkleinertes Modell des früheren KZ Buchenwald entsteht im Jugendprojekt ‚Xenos‘ in Eisenberg. Mit dem Projekt, an dem zwanzig Jugendliche teilnehmen, soll den Schülern Geschichtsbewusstsein vermittelt werden. Anliegen ist auch, durch den Nachbau des Konzentrationslagers berufsbezogenes Wissen für später zu vermitteln und die Freizeit sinnvoll zu gestalten.“

Na, wie war das? Lassen Sie sich bitte jedes einzelne Wort auf der Zunge zergehen. Nochmal von vorn, langsam und poetisch: „...Ein verkleinertes Modell / des früheren KZ Buchenwald / entsteht im Jugendprojekt ‚Xenos‘ / in Eisenberg. Mit dem Projekt / an dem zwanzig Jugendliche teilnehmen / soll den Schülern Geschichtsbewusstsein vermittelt werden. / Anliegen ist auch / durch den Nachbau des Konzentrationslagers / berufsbezogenes Wissen / für später / zu vermitteln / und die Freizeit sinnvoll zu gestalten.“ - Wenn Sie das begreifen, was das bedeutet, dann ist das Gehirnsalat-Chirurgie. Eins rauf mit Mappe.

Und noch etwas habe ich für Sie aufgelesen. Aus dem ‚Tagesspiegel‘ vom 19. August 2002, Seite 12: (Neuss spricht theatralisch) „Noch immer sind die Hintergründe der Bluttat auf dem U-Bahn-hof Paradestraße unklar. Dort hatte ein 19-jähriger Liberianer eine 24-jährige Kreuzbergerin vor einen einfahrenden Zug der Linie 6 gestoßen. Die vollkommen ahnungslose Frau kam kurz nach 14 Uhr auf den Bahnhof. Der Täter packte sie und stieß sie vor die in diesem Moment nur noch etwa zehn Meter entfernte U-Bahn. Anschließend wählte der Täter selbst den Polizeinotruf 110, wartete bis die Polizei kam und ließ sich widerstandslos festnehmen. Zu seinen Beweggründen äußerte sich der Liberianer nicht: ‚Er starrt uns schweigend ins Gesicht‘, sagte ein Ermittlungsbeamter.“

Sieben Sätze zwischen Leben und Tod waren das, aber genug für einen Film von zwei Stunden Länge ... wenn man Zeitung LIEST. Aber mir ist es ja egal. Von mir aus lesen Sie eben ‚Boulevard‘. Das ist für manchen einfacher. Fast Food Furunkel in Tittentunke. Sich sauggeile Blutekel holen, mitten ind Gehirn setzen und dabei zu hoffen, dass der geistige Aderlass einem gut tut und nicht zu abflauenden Gehirn-Windungen führt.

(Kurze Sprechpause) Anwesende natürlich ausgenommen, Verwesende sowieso. Weil Sie haben ja Intelligenz. Deswegen sind Sie ja schließlich hier im Theater.

('Der Wolfgang Neuss Monolog' ist Bestandteil des Theaterstücks 'Eichenlaub'/2002 von rainerWsauer)

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